Archive for August 2010


Weber-Zeit

August 18th, 2010 — 9:22am

Im Zuge seiner Protestantismusstudien und religionssoziologischen Untersuchen schreibt Max Weber über Genese und Kausalverhältnis westlicher Rationalität und Kapitalismus einerseits und protestantischer Religion andererseits: „[D]er asketische Protestantismus machte der Magie, der Außerweltlichkeit der Heilssuche und der intellektualistischen kontemplativen „Erleuchtung“ als deren höchster Form wirklich den Garaus, nur er schuf die religiösen Motive, gerade in der Bemühung im innerweltlichen „Beruf“ – und zwar im Gegensatz zu der streng traditionalistischen Berufskonzeption des Hinduismus: in methodisch rationalisierter Berufserfüllung – das Heil zu suchen.“
(Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1922)

An anderer Stelle expliziert Weber diese These – und mit ihr den Charakter „der protestantischen Berufsethik, welche, als Virtuosenreligiosität, auf den Universalismus der Liebe verzichtete, alles Wirken in der Welt als Dienst in Gottes […] Willen und Erprobung des Gnadenstandes rational verpflichtete und damit auch die Versachlichung des mit der ganzen Welt als kreatürlich und verderbt entwerteten ökonomischen Kosmos als gottgewollt und Material der Pflichterfüllung hinnahm.“
(Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, Tübingen 1920, S. 544)

Erscheint Nachstehendes dann nicht als genuiner Ausdruck protestantischer Arbeitsethik nach Max Weber? Welch glücklicher Fund!

„Nun lasset uns das Gleichnis von einem Kaufmann noch einmal ansehen. Was treibet den Kaufmann an, daß er Waaren kauft? Der Gewinn. Wornach strebet er, wenn er ein gantzes Waaren-Lager auskaufet? Ein groser Gewinn. Er kaufet ja nicht deswegen, daß er die Waaren müssig auf einander liegen lasse: Nein; sondern er ist nun eben so geschäftig, ja noch sorgfältiger, noch arbeitsamer, daß er seine Waaren zur bequemsten Zeit, auf die beste Weise, und mit dem grösten Vortheil wieder an den Mann bringe, damit sich sein Gewinn und Reichthum vermehre.
Wenn Christen die Zeit auskaufen: So geschiehet solches nicht aus der Absicht, daß sie solche zum Müssiggang anwenden. Es wäre auch ohnmöglich, daß man die Zeit kaufen, und doch müssig gehen könte. Denn die Zeit kaufen heiset so viel, als die Zeit sorgfältig zu rath halten, damit man seine Geschäfte desto besser verrichten möge. Müssig gehen aber heiset so viel, als die Zeit verschleudern, nicht achten, oder, wie die Welt sagt, die Zeit vertreiben, gleichsam wegjagen, damit sie uns ja nichts nutzen möge. Ein wahrer Christ, der die Zeit auskaufet, und ein Müssiggänger, sind also wiedersprechende Dinge.
Wenn man nun fraget: Warum sind wahre Christen so sorgfältig auf ihre Zeit? so ist die Antwort: Sie wollen etwas damit gewinnen. Sie wenden ihre Zeit mit Fleis zu Geschäften an, und durch die Geschäfte wollen sie grose Vortheile erlangen.“

(Johann Philip Fresenius: Auserlesene Heilige Reden über die Epistolische Texte aller Sonntäge und hohen Festtäge durchs gantze Jahr, Nebst einer Zugabe von Einigen Bus-Predigten. Mit nützlichen Dispositionen und zweyen Registern an das Licht gestellet. Franckfurt und Leipzig, Bey Heinrich Ludwig Brönner, 1755, S. 886-887)

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Moozak

August 4th, 2010 — 4:18am

Wien und Klassik sind oftmals synonym miteinander, und auch die Neue Musik im E-Sinne wird institutionalisiert und bedient junge wie bürgerliche Auditorien; woran es mangelt, auch wenn sich Nischen finden hie und da und ein enthusiastisches Publikum durchaus empfänglich ist und sich einstellt, das ist die experimentelle Musik, jenes Changieren zwischen Neugierde und Dilettantismus, Unbedarftheit und überkandidelter Kultiviertheit, kurz gesagt jenes Moment, typisch für Berlin, worin sich Übermut paart mit Vision, Fingerspitzengefühl mit Anorexia nervosa, Ideal mit humoristischem Augenzwinkern.

Klub Moozak: Mats Gustafsson @ Skug Salon

Klub Moozak: Mats Gustafsson @ Skug Salon

Eine der wenigen Ausnahmen bietet sich im Rahmen der vom Klub Moozak und Salon Skug ausgerichteten Veranstaltungsreihen wie z.B. am 12.05. mit dem schwedischen Jazzsaxophonisten und Noise-Improvisatoren Mats Gustafsson, der auf den Bahnen eines Masami Akita, Yamazaki Maso und Yamataka Eye wandelt – oder vielmehr nervenzehrend wankte und kränkelte, war seine Performance im Fluc doch nicht sonderlich ausgewogen oder gelungen ungleich jener Bernhard Loibners, dessen Plattenveröffentlichung Anlaß gab für den musikalischen Abend.

Warum eigentlich kommt eine der spannendsten Musikpublikationen im deutschsprachigen Raum, das Skug, just aus Wien? Und warum ist es praktisch unmöglich, dies Magazin in Berlin zu finden, jener selbsternannten und selbstbefeuerten Brutstätte eks-perimenteller Musik?

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Seelenschau

August 4th, 2010 — 3:01am

Wir begegnen der Welt sinnlich und reflexiv, mit Leib und Seele respektive Geist, wie letztere Fakultät traditionell unterschieden wird hinsichtlich ihres Gegenstandsbereichs und Modus, in der Betrachtung und Empfindung, die beide denselben doppelsinnigen Charakter bezeugen in ihrem Verweis auf Physis und Psyche der lebendigen Welt, auf Innenschau und Wechselwirkung mit der vom Subjekt verschiedenen äußeren Natur. Wahr-Nehmung bindet das Außen als Abgeschiedenes und Anderes an das Binnen und den Betrachter ebenso wie sie der Wirklichkeit in der Fülle an Phänomenen den Charakter des (einen) Wahren zuspricht: Sie ist stets auch Narrativ des Subjekts, das in der Erzählung der Seele von der Welt seinen Ursprung findet und ausführt und so sich erstmals selbst-bestimmt. Wie nun können wir in der Welt uns erkennen, in der Seelenschau uns ihr zuwenden, wenn nicht darin ein Widerpart sich findet und bestimmt? Der Animismus als kulturelle Praxis, als Wegbereiter der sich später ausdifferenzierenden religiösen Kulte, bis hin zu den abrahamitischen Monotheismen Europas und des Nahen Ostens, wirkt an vielen Stellen noch immer fort, nicht einzig unverfälscht bei indigenen oder primitiven Völkern, sondern auch in elaborierten Praxen moderner Gesellschaften. Und wer kennt nicht die Ahnung einer beseelten Natur, wenn nachts sich unvermittelt die Haare aufstellen am Bein, als ob eine Hand daran entlang gestreift sei, ohne daß ein Luftzug sich fände, oder wenn ein Falter unabwendbar seine Bahnen enger und enger zieht um eine heiße Lichtquelle, konzentrisch, erratisch dem Ende entgegentaumelt, und eine feine Rauchfahne aufsteigt, just wenn er auflodert und verglüht in einem letzten hitzigen Atemhauch?

Text: Edward Clodds Religions Ancient & Modern: Animism: The Seed of Religion:
Abschrift (216 kB) (PDF-Dokument)

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