Tag: Gesellschaft


Mißglückte Werbung: Unerwidert

Juni 27th, 2014 — 2:39pm

Mir sind Online-Partnerbörsen suspekt, und dies nicht einzig aus pragmatischen Erwägungen, die das (schiefe) Verhältnis zwischen den Geschlechtern wie auch Orientierungen betreffen oder die Motive der Betreiber (z.B. ebenjenes oftmals im Nebulösen zu belassen, obschon es doch als Erfolgsparameter nicht zu vernachlässigen ist, wenn die zugrundegelegte algorithmische Verkupplung schon nicht in Frage gestellt wird) wie auch die in der Konsequenz zumeist irreversiblen (soll heißen: versenkten) Opportunitätskosten, die der Nutzer, daheim vorm Rechner vom Leben und der zwischenmenschlichen Begegnung darin abgeheimst, auf die Suche nach einem Partner zeitlich (und finanziell) aufwendet, worin auch eine Gerechtigkeitsproblematik sich ausgestaltet, wenn der Betreiber durch einseitig (intransparent) kontrollierte Umgebungs- und Zugangsbedingungen den Nutzer im Dunklen läßt über die rechnerische Unwahrscheinlichkeit, sein eingesetztes (monetäres) Kapital zumindest sozial, wenn schon nicht symbolisch ummünzen zu können. (Hierbei sei davon abgesehen, daß die Verzinsung einer Kapitalsorte in ein Äquivalent einer anderen problematische Implikationen mit sich führt mit Blick auf die Verfügung und Verfügbarkeit über das (menschliche) Individuum.)

Single love: Bedarf es einer Partnerbörse für unerwiderte Liebe?

Samt und sonders erhebt sich in mir aber Widerspruch ob der in solch kybernetisch organisierten Vermittlungsbörsen als Intermediärende (d.h. der Unmittelbarkeit und inhärenten Unabwägbarkeit der Begegnung Entgegenstehende und darein Zwischengeschaltete) waltenden Logik, welche in wirkmächtiger Analogie das betriebswirtschaftliche in ein partnerschaftsoptimierendes Kalkül übersetzt, sie beide als Homologien parallelführt und sich, genau besehen, als ein kryptonormativ verfaßtes Dispositiv erweist, dessen, mit Foucault gesprochen, Regelsysteme und interne Prozeduren die Zufälligkeit von Ereignissen bändigen sollen und somit ein heteronomes, beherrschtes Menschenbild einschreiben in die Partnerwahl. Dieselbe vollzieht sich parametrisch, wobei die dem Nutzer zugrundegelegten (expliziten) Kriterien gleichermaßen als (implizite) Steuerungsgrößen und (implizite) Skalarvariablen einzig regelgerecht (algorithmisch) verfahren und so das partnerschaftliche Desiderat in ein externen A-priori-Setzungen genügsames Optimum abbilden.

Eine Kriteriologie des Menschen wird aber immer das Gegenüber als Abbild des eigenen rekonstruieren und metrisieren, d.h. es in einem zweiten (narzißtischen) Schritt dem Nutzer genügen lassen (worin der Mensch als Gegenüber passiviert wird), und so den Blick verstellen auf das Kontingente, Überraschende, Transformative in der Begegnung mit einem anderen Menschen, der nicht doppelt domestiziert und reduziert auf den Zuruf von Datenbank und Suchendem hört, sondern diesen zu verstören, aufzurütteln, wachzurufen in eine neue Emanation von Selbst (und Selbstvergewisserung) in der Lage ist (anstelle einer Rekonfiguration) und jener die Freiheit des Anderen, Widergesetzlichen, Selbstbestimmten entgegensetzt. Eine Lyrik der Partnerschaft in all ihrer Ungewißheit und Konkretion, ist sie nicht dem Sirenenruf des Partners nach meinem Bilde vorzuziehen? Ist die Conditio humana nicht zuallererst eine Conditio imperfecta? Ist, in der Terminologie Heideggers, nicht der Mensch, der sich entmachtet im Gestell der Technik findet, funktional optimiert, – herabgewürdigt zum zu bestellenden Bestand? Und einzig, wenn in der Begegnung nahe anstatt durch raschen Zugriff verfügbar, Mensch?

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Revolutionäre Killer

April 30th, 2014 — 11:33pm

Che Guevara ist nicht erst durch zahlreiche künstlerische Anverwandlungen des Guerrillero Heroico Alberto Kordas zu popkulturellem Gemeingut geworden; in keiner studentischen WG der vergangenen Jahrzehnte zierte nicht wenigstens eine Wand das Konterfei des „heldenhaften Freischärlers“, des argentinisch-kubanischen Revoluzzers, des marxistischen Aufrührers und Verführers mit messianischem Anspruch (und Märtyrerkomplex); man mochte ihn nicht missen, wenn Teilnehmer antikapitalistischer Demonstrationen skandierten, linksideologische Bewegungen theoretisierten (nostalgisierten), antikolonialistische Freiheitsbestrebungen sich Helden erkoren – in popmusikalischer Hommage und populärer Verklärung avancierte ein Schlächter zum marketinggerechten Objekt jugendlicher Schwärmerei. Es entbehrt nicht der Ironie, wenn nun eine Zigarettenmarke diese Ikone des Widerstands sich zum Idol wählt, ihr todbringendes Tabakprodukt an den Mann zu bringen:

q_che_revol

Die „Revolution fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“. Ein ehrlicheres Zeugnis Ches und seines Vermächtnisses seit seinem gewaltsamen Leben und Ende anno 1967 hat es lange nicht gegeben.

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Allumée: Rheinland und Alltag

März 29th, 2014 — 7:00pm

„Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen.“ – Joachim Gauck

1-3: NRW, wie es leibt und lebt

1-3: NRW, wie es leibt und lebt

1: Bar Babalu, Velbert
Inh. Gabor Töser
pinke Holzstifte m. gelbem Zündkopf
2: Schneider-Wibbel-Stuben, Düsseldorf
Wenn’s was zu feiern gibt…
schwarze Holzstifte m. gelbem Zündkopf
3: Café Kibun, Düsseldorf
braune Holzstifte m. weißem Zündkopf

1, 3: Unterkante: 20 Zünder von L. Holz, 433 Mülheim/R., 18; 2: Unterkante: 20 Zünder
2: Einzig das Restaurant der Schneider-Wibbel-Stuben hat sich erhalten; die anderen beiden Lokale sind vergangen.
3: Die Immermannstraße ist fortgesetzt Zentrum des japanischen Lebens in Düsseldorf.

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Roaring Twenties

November 10th, 2013 — 10:04am

Siste gang jeg gikk til søndagskonserten ble jeg sammen med ei norsk studentkollegaen. Hun visste ikke akkurat hva som vi skulle gjøre og høre på, men allikevel bestemte hun seg å komme med da jeg foreslo å møtes sammen ved Clärchens Ballhaus som er en velkjent og gammel dansklubb i Berlin. Det fins den såkalte speilsalen der, og hver søndag spiller der klassiske eller jazz-grupper i en hyggelig og litt gammelmodig omgivelse.

Det er som om man reiser tilbake til 20-årene, tiden da Berlin var senteret til det Europeiske bohème-miljøet med mange kunstnere og frigjestere i byen, en tid fylt av eventyr, eksess og dekadens ved siden av hverdagskultur og -arbeid. Samfunnet i dag er nesten som kosmopolitisk som i de Roaring Twenties, og uten tvil er det hedonistisk og hemmelighetsfylt på samme måten. En gjenlyd til lyst sinn, dansen rundt gullkalven, Josephine Baker som gjenganger.

Vanligvis fins det et piano midt i salen, men denne gangen ble det tatt bort fordi det spilte en fiolinkvartet og slik var det ikke nyttig. Musikerne ble alle fire hentet fra de Berliner Filharmonikerne, og det var åpenbart da de begynte å lage musikk fordi opptrinnet var nesten uten feil. Kollegaen min og jeg, vi drakk et glass rødvin hvert, og lyttet til visene. Omkring oss begeistring, glede allesteds, og programmet gav mye grunn for å bli entusiastisk.

Det begynte med Telemann i det 17-tallet, litt barokk og schwülstig, og ble fortsatt til vår tid med et utvalg av stykker fra flere polske komponister. Melodier og danser, en svak fornemmelsen ved det, bak det uro, mørket som reiste seg ett tiår senere, men først synger de om jomfruelig moro og nærværet i all dets enkelhet. Folkeviser motsatt de oppgryende skyggene, livslyst. Elskov som en sløset dans, hver natt en ilddåp før den siste brannen.

Den store glemselen, ødeleggelsen til sivilisasjon, bare et fåtall år senere. Jo visst, i natt påkaller blomstringstiden før, fiolinene kaster kyss inn i salen, lysene blinker mer levende og lysere, og tilskuerne brister ut i latter imot hverdagens hvisking. Det var flott! Konserten avsluttet med utdrag av Mozarts Tryllefløyte og karnevalen til Charles Dancla: une fantaisie brillante, leichtfüßig, lettsindig, svimlende. Et sansebedrag. Og deretter en marsj.

[Arkiv: Opprinnelig publisert på 24.01.2013.]

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Sprachpanscherei

September 18th, 2013 — 10:31am

Ökologischer Anbau und Bioprodukte haben die gesellschaftliche Mitte erreicht; Stadtviertel, deren Aufwertung und bauliche Instandsetzung einhergeht mit dem Zuzug junggebliebener bildungsbürgerlicher Patchworkfamilien in die innerstädtischen Quartiere, künden davon durch eine vernehmliche Änderung der Geschäfts- und Kleinhändlerstrukturen, sei es durch hochpreisige Café-Etablissements, in denen Medienbohémiens und Digital natives hinter ihren Macbooks und Tabletrechnern verschanzt herumlümmeln, strikt verpflichtet dem fair-gehandelten Flat white und der Misosuppe mit Tofuschmankerl, sei es durch das moderne Pendant des Naturkostfachgeschäfts, den Biosupermarkt, dessen Ausstattung farbpsychologisch versiert in Erd- und Grastönen den Modern urbanite seiner Naturverbundenheit versichert und der den sonntäglichen Wochenmarkt samt regional erzeugter, erntefrischer Lebensmittel ergänzt.

Hinzu kommt ein in höchst individuellen, dabei auch zeitgeistigen Ladengeschäften sprießendes Angebot nachhaltig produzierten Mobiliars in Vintage-Look und Retro-Chic und zertifizierte Upcycling-Designer-Fashion mit gesundheitsverträglichen Textilien (samt Coffee to-go); ganz zu schweigen vom Assortiment an Dienstleistungen, welche von ganzheitlichen Naturheilverfahren und Physio- und Aromatherapien über Fangobehandlungen, Yoga und Honigmassagen bis hin zu Naturkosmetik und Wasserkontor reichen; Wellness für den gestreßten Großstädter. Was darin verlorengeht? Die Moderne vergißt ihre sprachlichen Wurzeln und ihren emanzipatorischen Ausgangspunkt in den Volkssprachen, und panscht dabei im seichten Mittel: Gingerkekse oder Ingwercookies, der Bionade-Biedermeier scheint sich für nichts zu schade, sein kosmopolitisches Dandytum unter Beweis zu stellen, atmosfair, ganz ohne den Ruch des Easyjetsetdaseins.

Berlin is Tokyo is New York is Istanbul is … herkunfts- und besinnungs- und bindestrichlos.

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Allumées: Des sèches propres

September 15th, 2013 — 2:02am
1-2: Have a smoke?

1-2: Have a smoke?

1: Lucky Strike Original Red
Das kleinste Denkmal der Welt: Die Original Red in der Classic Edition erinnert an R.A. Patterson, der die Luckies 1871 erfand. Jetzt für kurze Zeit am Automaten. – Aber nicht automatisch.
Holzstifte m. grünem Zündkopf
2: Gauloises. Frei von Zusätzen
Typisch Gauloises: frei von Konventionen, frei von Zusätzen*. […] Liberté toujours. – *Raucher sollten hieraus nicht schließen, dass die Zigarette weniger schädlich ist.
Holzstifte m. rotem Zündkopf

3-4: Quit now!

3-4: Quit now!

3: Marlboro
Schrift u. Logo: weiß auf rot-anthrazit
Rück- und Vorderseite sind identisch, wenn auch kopfüber
Holzstifte m. rotem Zündkopf
4: Lucky Strike
Logo auf weißem Hintergrund
Rückseite mokiert sich in Form einer Rechenaufgabe:
Niels hat 21 Streichhölzer. Das sind 4 weniger, als Marco gestern hatte. Marco hat sich erst vor einer Woche 3 von Nina gemopst. Wie viele Streichhölzer bleiben dann noch für Florian und Sandra? Keine Ahnung? Macht nichts, Sie haben ja ihre eigenen Streichhölzer!
Holzstifte m. rotem Zündkopf

1, 2: Schachtel in Miniaturzigarettenschachtel-Aufmachung (aufklappbar);
Beide imitieren zudem die EU-Warnhinweise, wie sie seit Oktober 2003 vorgeschrieben sind.
2: Klappentext verwendet Reformschreibung (seit 1996).

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Literarische Grillen: Die Grisetterien Otto Erich Hartlebens

August 21st, 2013 — 9:41am

Otto Erich Hartleben: Die Geschichte vom abgerissenen Knopfe
S. Fischer Verlag, Berlin 1901
9. und 10. Auflage (1. Auflage: 1893)

beg, bee: 12.-14.08.2013

Über Autoren und Werk geht die Zeit oft genug rasch und reuelos hinweg, und nur die wenigsten bleiben dem kulturellen Gedächtnis über den jeweiligen Gusto und Kanon hinaus bewahrt, als Fußnote, Ergänzung, Weiterung desselben. Otto Erich Hartleben, seinerzeit was man heute Bestseller nennt, vormals Publikumserfolg geheißen, galt zur Jahrhundertwende im deutschsprachigen Raum als einer der bekanntesten und populärsten Spötter und Dramatiker und errang unter Kollegen, Kritikern und Lesern gleichermaßen großen Zuspruch. Ins junge Verlagsprogramm des just begründeten Hauses Samuel Fischers aufgenommen, veröffentlichte Hartleben ein überschaubares, aber auflagenstarkes Œuvre an Bühnen- und lyrischer Dichtung sowie Kurzprosa, nicht selten charakterisiert durch dekadentistische und naturalistische Tendenzen in Verbindung mit humorvollen Spitzen; im eigentlichen Sinne Unterhaltungsliteratur, welche teils die moralische Ambivalenz modernen Großstadtlebens leichthin aufs Korn nahm, teils die gesellschaftlichen Umbrüche zum Fin de siècle treffsicher markierte.

Heutigentags ist Hartleben vergessen, ebenso wie Georg Engels, damals Theatermann ersten Ranges und internationalen Renommées, welchem der vorliegende Band, der in sich zwei Erzählungen vereint, dankbar zugedacht ist. Die Novelletten sind je für sich gelesen leichte Lektüre und flüchtige Skizze und wirken miteinander verknüpft wie zwei Kapitel eines Groschenromans, angesiedelt im berlinischen Studentenmilieu der Jahrhundertwende, deklariert als Rückbesinnung eines demselben entwachsenden Erzählers. Sowohl die titelgebende Geschichte vom abgerissenen Knopfe als auch das daran anknüpfende, halb so lange Stück Wie der Kleine zum Teufel wurde sind inszenatorisch schlicht gehaltene Schilderungen, wie der Erzähler im Abstand einiger Monate mit je einem Freunde zusammentraf und Zeuge wurde von deren jeweiliger amouröser Verwicklung mit „der Lore“ – eine Berückung, die der Ich-Erzähler amüsiert und süffig-süffisant nachzeichnet, abhold aller tiefgründigen Erörterung.

Die Begebenheiten und Begegnungen mit Lore, deren eigentlicher Name Bertha auf eine Herkunft in der Arbeiterschaft Berlins verweist und welche abenteuerlich-verwegen um Namen und Biographien nicht verlegen ist, die feineren Herren auf Brautschau für sich zu gewinnen, sind in Ton und Materie banal und taugen weder zu Charakter- noch Milieustudien; positiv gewendet versteht sich Hartleben auf stilistische Aussparung und das augenzwinkernde Portrait einer je fruchtlosen Liebelei, wobei seine Grisetterien wenig mehr hergeben als literarische Bêtisen. Die moralische Gratwanderung wird kaum angedeutet, geschweige denn verhandelt, und dem heutigen Leser werden mehr die Manierismen1 in Hartlebens Sprache aufstoßen als die Dekonstruktion philiströser Engstirnigkeit, wie sie der Text anhand der Figuren, absent jeder Introspektion, konturiert. Im sanften Innuendo bleibt sie folgenlos, wie auch einige stilistisch unglückliche Einsprengsel bildungsbürgerlichen Lateins nur Firnis sind und dem Text über seine trivialliterarische Qualität nicht hinweghelfen.

Bemerkenswert, und verstörend, sind die antisemitischen Entgleisungen2, die beide Erzählungen eignen, nimmt man sie als Beleg für den judenfeindlichen Geist im wilhelminischen Deutschland, so beiläufig wie sie fallen; und chauvinistische wie klassistische Elemente durchziehen beide Kapitel, wenn auch die Zeichnung der Figur der Lore überraschend emanzipative Züge trägt und Hartleben explizit und positiv auf die frühe Frauenrechtlerin (und Friedensaktivistin) Bertha von Suttner und die Bewegung der Suffragetten im weiteren Sinne Bezug nimmt. Lore kann so gleichermaßen als Grisette gelesen werden wie als Backfisch, ihre Widerständigkeit läßt sich nicht zähmen und nicht beheben wie ein abgerissener Knopf: Sie behauptet sich als eigenständige und selbstbewußte Frau, die sich dem Schicksal von Haus, Küche und Kindern, wie es Dora, eine im zweiten Stück gestreifte Jugendliebe, die Pfarrersfrau wird, ereilt, verweigert. Und doch scheint die zweite Geschichte in ihrem Urteil und Schluß merklich verhaltener und suggeriert entgegen der vorigen Lesart der Lore, ebenso wie ihrer Tändelei, ein tragisches, uneigenes Schicksal.

Vorliegende Ausgabe zeichnet sich durch einen schön gestalteten Leineneinband mit zweifarbiger Jugendstilornamentik und Umschlagprägung aus, als Staubschutz weist sie einen goldenen Kopfschnitt auf; typographisch bestechen Titel und Widmung durch eine schwungvolle Art-Nouveau-Letter wie auch der Text durch einen harmonischen Satzspiegel mit lebenden, von Seite zu Seite changierenden Kolumnentiteln, gesetzt durch die 1883 begründete Berliner Druckerei A. Seydel & Cie. Dem Titel gegenüber ziert das Frontispiz eine Vignette mit dem Portrait einer jungen Frau, mutmaßlich der Lore in ihrer Matrosentaille, um welche in der ersten Erzählung soviel Aufhebens gemacht wird; ein seidenes Lesebändchen schließt die hervorragende Ausstattung ab.

1: Es finden sich aber auch eine Vielzahl heiterer, schrulliger, außergewöhnlicher und aus dem Gebrauch gefallener Begriffe wie z.B. Stearinlicht (vgl. norw. stearinlys, ndl. stearine kaars), Glacées, Meublement, Quartals-Bräutigam, Nilpferdvisage, Anulkung, Pertinenzen, Caffëinbacillen, Stiesel, bummlich. Auch Hartlebens juristischer Hintergrund schlägt sich nieder in Wendungen und stehenden Begriffen wie ne bis in idem, Pandecten, Emphyteusis und Superficies.
2: Auf S. 27 finden sich explizite und implizite Stereotypen: „Sie trug jetzt Stirnlocken, Ponnys. […] Ach und dann hatte ihr da irgend so’n Pferdejude – als ‚Künstlerin‘ verkehrte sie wahrscheinlich mit solchem Gesindel – der es sich nicht viel hatte kosten lassen wollen, ein Paar riesige silberne Steigbügel als Ohrringe verehrt. Pfui, wie gemein das aussah!“
S. 112 führt ‚Jude‘ zumindest in einem pe­jo­ra­ti­ven Sinne auf: „Weisst Du – sagte er langsam – es [ist] doch richtig […], nämlich – dass einen das Leben schlechter macht. Das Leben – und vor allem die Weiber. – Aber lieber Kleiner, das steht ja schon im alten Testament. Da wurde er patzig: – Das weiss ich nicht! Ich bin kein Jude! Darüber liess sich nicht streiten.“

Informationen zum Verfasser:
Armin Burkhardt: Otto Erich Hartleben, in: BraunsJbLG 77, 1996, S. 295-298: [1][2][3][4]
Literaturatlas Niedersachsen: Schulprojekt am Ernestinum Celle

126, (2) Seiten, Festeinband
dt.-sprachig
Erzählungen, Literatur, Berlin

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Bezeugt

Mai 28th, 2013 — 12:51am

„Leichtsinnig, der ohne zu untersuchen etwas statuiert
Leichtgläubig, der auf anderer [Nachricht ohne] Zeugnis ohne Untersuchung trauet
Ungläubisch der auf kein Zeugnis Glauben setzt.
[…]
Abergläubisch (superstitios.) der was er sich selbst vorspricht für das Geschenk eines anderen hält.“

Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
§17: Von dem Sinn des Sehens, BA S. 51 (AA: §19, S. 157)
Zusatz aus der Rostocker Handschrift, 1796 / 1797

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Utenfor

Januar 15th, 2013 — 4:44pm

Utenfor byen er natta. Bakgårdens ytterlinjer defineres av dårlig lys, glimrende skygger som skjærer snøteppet som har lagt seg her om dagen på gresset bortenfor steinmuren som innhegner tomten vår, på gangstien til plassen med søppelcontainere på venstre hånd, på sandkassa til høyre for dem, på takene av de til- og motstående husene som ble hvitnet av svakt snødrev. Bakgården er tett omsluttet på begge sider, bare halvåpen bakut ovenfor muren, der finnes ei rekke boligblokker; den er ikke noe annet enn et svart åndedrett, tungt og helt fartsfylt.

Noe dveler ubevegelig der nede, schemenhaft og truende, nedenfor balkongen på fjerde etasje der jeg er. Lyset skinner inn gjennom vinduet, dets rute filtrerer natta, men et kjøligt vindpust lurer seg inn allikevel, smigrer omkring rommet, streifer gardinstoffet, dyna, føttene mine, kysser meg med smale lepper. Jeg ligger her i sengen og prøver å sove, jeg la meg tidlig, lenge før midnattstid, fåfengt. Jeg har sett ditt ansikt for ofte. Vinteren hvitner natta.

I kveld da jeg kom tilbake, møtte jeg naboen min ved døra på huset. Han flytter øyensynlig, var i ferd med å frakte gods til bilen sin; døra ble holdt åpen gjennom flyttekartongene hans, øverst oppe det fants leketøy til et barn. Vi har aldri snakket før. Et barn på min etasje, skulle jeg ikke ha lagt merke til det? Er det mulig? Han er omtrent 40 år gammel, slank, tynn i håret, heller typus ansatt enn noen som arbeider fysisk med hendene og kroppen; vel behagelig med et flyktig blikk gjennom brilleglasset, rutene som vern, ingen fare. Typus tøffelhelt. Trenger du noe hjelp? spør jeg. Nei, nei, alt er greit, svarer han på tilbudet mitt. Og det var det med vår første samtale, og med mine mellommenneskelige relasjoner i dag.

Enhver situasjon har sitt eget språk. Har denne fargeløs mann har hatt del i livet mitt? I min utukt? To dører og maks tre meter oppgang, litt mer enn en trappeavsats, det er ikke virkelig nok avstand for grense opp ulike liv. Og dog var det for den første gang at jeg så gjennom den motstående døra inn i det nærliggende hjemmeriket der da jeg styret i retning av min leilighet; jeg tok ikke mer enn en titt på møblene i entréen, en hvit benk, en kommode, det mørke mønsteret til tregulvet, den åpne døra til badet ved enden av korridoren som virket som en tvilling av mitt, et hvit flislagt lyst rom uten vinduer.

Alle andre dører, til høyre, til venstre, lukkede. Jeg pleide å elske vinternetter, ventet lengselsfull på det klokkeklare frembruddet, yndet deres tillokkende prakt, et løfte i all sin glans av egalisering, snøflakenes dans. Ikke lenger. Natta er uinnskrenket utenfor.

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Schweizer Ausgrenzung

Dezember 11th, 2012 — 3:27am

Die Besinnung auf das Lokale ist Antwort des technik- und zivilisationsmüden Menschen auf die entgrenzte Neuzeit, ein Paradox wohl wahr, denn erst die medial und ökonomisch fortgeschrittene Entwicklungsgesellschaft, in ihrer Übersättigung an Reizen und Erfordernissen, ihren Kompromißformeln und Wohlstandslogiken, ihrer Anonymität und Schnellebigkeit, hat diese Sehnsucht nach ‚Heimat‘ befördert und ermöglicht, erst aus der Inkommensurabilität der Moderne bemißt sich das imaginierte Konstrukt ‚Idyll der Altvorderen‘.

Und doch schwingt die Ahnung mit, daß in der Aufnahme in die Gemeinschaft, in die Übersichtlichkeit vergangener Tage, immer auch schon die Ausgrenzung des Nichtübersichtlichen eingeschlossen ist, sei es das Fremde in der Ferne oder das Andere im Nahraum, jenes in der Nuance Abweichende und Nichtkonforme, dieses das Gemeine Herausfordernde und seiner Allgemeinheit Bloßlegende. Es ist die Störung, das Artefakt, welches die Harmonie aus dem Gleichgewicht bringt und bereinigt werden muß, sei es, daß es unter den Teppich gekehrt wird, sei es, daß es in Zwang und Drill gefügig gemacht und eingefügt wird, sei es, daß es den Katechismus und Konsens nicht gefährde durch Ausschluß und Verstummung.

Die Negation nimmt viele Formen und Formeln an, informelle Mechanismen wie Gerücht und Vorurteil, explizite wie Bannspruch und Pathologisierung, mit welcher nicht selten Institutionalisierung und Neutralisierung einhergehen. Das Unbekannte wird eliminiert und ausgesondert, ist aus den Augen, aus dem Sinn, womit die Gemeinschaft aufs Neue sich gestiftet findet.

Es ist diese Dialektik von Vereinnahmung und Ausgrenzung, die Hanna Fröhlichs Warum de Hansjokeb nid länger bis Kommidants het chönne blibe einen so tragikomischen Beiklang verleiht, ein Landschaftsportrait, das in seiner bitteren Note, altera facie, soviel Wahrheit enthält und diese auch für den der Moderne ennuierten Menschen bereithält, aller literarischen Mängel zu Trotz. In der Seligkeit ist immer auch ein Zwist.

Text: Hanna Fröhlichs Erzählung Warum de Hansjokeb nid länger bis Kommidants het chönne blibe in zweisprachiger Fassung einschließlich dt. Übertragung:
Warum de Hansjokeb nid länger… (88 kB) (PDF-Dokument)

Die Übersetzung wäre nicht möglich gewesen ohne folgende Wörterbücher und Nachschlagewerke:
Alemannisch Lexikon
Wörterbuch Berndeutsch
DRS 1: Mundartlexikon
Hablaa: The Ultimate Language Source
Hallo Schweiz: Kleines Spracharsenal
Lustenauer Mundartdatei (Zgst. v. Sieglinde Fitz-Grabher)
Schweizerisches Idiotikon

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