Tag: Reise


mmix.xxv

Januar 6th, 2010 — 6:02am

Titus Arnu (Hrsg.): Übelsetzungen – Sprachpannen aus aller Welt
Langenscheidt, Berlin / München et al. 2007
3. Auflage 2008

beg, bee: 27.12.2009, 28.12.2009

Wohl kaum ein Buch zu nennen, ergeht sich dies unverkennbar deutsche Printprodukt, ohne jeglichen Hintersinn, in Schadenfreude und Häme und läßt so neben wohlfeilem Feixen für Sprachwitz oder humorvolle Sprachkritik keinen Raum. Montiert und redigiert qua wahllosem Cut & Paste und beliebiger Bebilderung, entpuppt es sich so in für einen Verlag wie Langenscheidt beschämender Weise als billige Fließbandware, welche die Leser mit eigenen Schnappschüssen und Fundstücken zu ergänzen aufgefordert sind im als Anschreiben verfaßten Kolophon. ????: Drek auf dem teller.

128 Seiten, Broschur
dt.-sprachig
Bildband, Sprachkritik, Deutschland

Comment » | Category: Libri L | Schlagwörter: , ,

mmix.xviii

Juni 26th, 2009 — 4:38am

N.N.: Die Geschichte des Königs Apollonius von Tyrus
Ein antiker Liebesroman nach dem Text der Gesta Romanorum
Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1987

beg, bee: 26.06.2009, 26.06.2009

Rasant wirbelt dieser hellenistische Roman durch das Geschick des Apollonius, König von Tyrus, und der Seinen, quer durch das östliche Mittelmeer und Nordafrika, und dekliniert im Parforceritt die Leidenschaften und Laster antiker Fürsten und ruchloser Kuppler, ehrbarer Dienstleute und Bürger durch. Mit einem Paukenschlag, dem frevelhaften Inzestverhältnis des Antiochus zu seiner Tochter1, eröffnet die Geschichte, und Apollonius, auf Brautschau in Antiochia, trifft so der Bannfluch des Königs: Sturm, Untergang und Verderben, bis nach vielerlei Irrungen und Wirrungen „zeitliches Trübsal sich schließlich in ewige Freude verwandelt“.

Dabei ist, für den heutigen Leser ungewohnt, diese spätantike Odyssee ungemein mit Pathos aufgeladen, wenn z.B. die Tochter des Altistrates (Archistrates) in fiebriger Verliebtheit dem schiffbrüchigen Apollonius anheimfällt und sich, in einer plenitudine amoris, nach ihm verzehrt:

„Interposito brevi temporis spatio, cum non posset puella ulla ratione vulnus amoris tolerare, in multa infirmitate membra prostravit fluxa, et coepit iacere imbecillis in toro. Rex ut vidit filiam suam subitaneam valitudinem incurrisse, sollicitus adhibet medicos, qui temptantes venas tangunt singulas corporis partes, nec omnino inveniunt aegritudinis causas.“ (Cap. XVIII)

In der Übertragung Ilse und Johannes Schneiders:

„Danach wurde das Mädchen vor heißer Liebe zu dem Jüngling ganz krank. Wie nun der König sah, daß es seiner Tochter gar nicht gut ging, ließ er rasch die Ärzte holen. Diese befühlten ihre Adern und ihre einzelnen Körperteile, konnten aber keine Krankheit feststellen.“ (S. 30, bemerkenswert hier als bekanntes Motiv die kursorische Einordnung, Prüfung und Zurückweisung der Liebessymptomatik als Erkrankung)

Der nüchterne Tonfall der deutschen Fassung, die das „volkstümlich erzählende Latein“ der Gesta Romanorum „widerzuspiegeln […] sich bemüht“, wie dem Nachwort zu entnehmen ist, kontrastiert zuweilen stark mit den emotionalen Auf- und Abschwüngen der Protagonisten, die, noch im Gepräge der mythischen Tradition, wenn auch schon in bürgerlicher Erscheinung, typenhaft, holzschnittartig anmuten2; er dient aber, ohne sprachlichen Prunk, der Übertragung als modernem, belletristischem Pendant im Sinne mittelalterlicher Unterhaltungsliteratur. Und um dieselbe handelt es sich ja bei den Gesta Romanorum.

„‚Meister Apollonius, bist du nicht betrübt darüber, daß ich einem anderen verheiratet werden soll?‘ Doch dieser erwiderte: ‚Nein, denn alles, was dir Ehre bringt, wird auch mein Glück sein.‘ Darauf sprach das Mädchen: ‚Meister, wenn du mich liebtest, wärest du darüber betrübt.'“ (S. 32)

Im Original:

„‚Magister Apolloni, ita tibi non dolet, quod ego nubam?‘ Apollonius dixit: ‚Immo gratulor, quod habundantia horum studiorum docta et a me patefacta, deo volente et cui animus tuus desiderat, nubas.‘ Cui puella ait: ‚Magister, si amares, utique doleres tuam doctrinam.'“ (Cap. XX)

Die literaturwissenschaftlich motivierte Rekonstruktion der Genese des Apollonius-Textes im Anhang erläutert seine eminente Bedeutung für das europäische Mittelalter und die frühe Neuzeit; über die Renaissance hinaus bis zu Shakespeares Perikles (1607) war die Historia Apollonii so etwas wie „ein Stück Weltliteratur“ und der Stoff, vielfach adaptiert und variiert, ungewöhnlich weit verbreitet als Teil europäischer Volksbücher. Dabei erfuhr die Geschichte, von ihrer mutmaßlichen Entstehung als spätantik-griechischer Text des ausklingenden 3. Jhs. bis zur Aufnahme in die Gesta Ende des 13. Jhs., einen enormen Wandel und amalgierte zusehends heidnische und christliche Topoi.

Diese eigentümliche Verbindung, die himmlische Prophetie und Engelsvision mit dem Dianatempel von Ephesos zusammenführt, die Fülle archaischer Motive: Rache, Lust, Inzest, und christliches Heilsversprechen, das schriftstellerische Ungestüm, das einen dramatischen Bogen spannt von lukullischen Hofszenen zu moralischer Einsicht zu Piraterie, Raub und Hurerei, all dies kann auch den heutigen Leser noch ansprechend unterhalten. Die vorliegende Prosafassung macht neugierig auf weitere Bearbeitungen des Stoffes.

1: Historisch inspiriert ist diese Begebenheit vielleicht durch den geschichtlichen Antiochos I., dessen Vater Seleukos I. ihm, seinem Sohn, die Stiefmutter Stratonike zur Frau gab. Ihre expositionelle Funktion im Ausgangspunkt der Handlung wird ergänzt durch das wiederholte Aufgreifen des Vater-Tochter-Motivs und den Kontrast der „natürlichen Vaterliebe“ des Apollonii, Altistrati und auch Athenagorou (Gen., Athenagoras) zur „unnatürlichen Begehr“ des Antiochi.
2: Apropos Holzschnitt: Der Band ist illustriert mit einer Vielzahl Radierungen Harry Jürgens‘, welche orientalische und mittelalterliche Szenerien allegorisch und figürlich vorzüglich aufgreifen und, obschon im Tiefdruckverfahren verfertigt, Holzstichen augenscheinlich gleichen.

110 Seiten, Taschenbuch
dt.-sprachig (Ü: Ilse und Johannes Schneider)
Roman, Literatur, Antike, Hellenismus

Comment » | Category: Libri L | Schlagwörter: , ,

mmix.xiii

April 22nd, 2009 — 11:44pm

Claude Anet: Im Banne Asiens
C. Weller & Co., Leipzig / Wien 1927

beg, bee: 15.04.2009, 16.04.2009

weniger eine Reiseschilderung denn schwärmerische Erotica

224 Seiten, Festeinband
dt.-sprachig (Ü: Georg Schwarz)
Roman, Literatur, Fin de siècle, Frankreich

Comment » | Category: Libri L | Schlagwörter: , ,

mmix.v

März 8th, 2009 — 8:15pm

Rainer Stephan: Gebrauchsanweisung für das Elsaß
Piper Verlag, München 2004
2. Auflage 2007

beg, bee: 05.03.2009, 08.03.2009

Elsaß-Lothringen, das ist ein Fokalpunkt europäischer Geschichte, deutsch-französischer Erbfeindschaft und Nachkriegsfreundschaft, das Elsaß eine Region, die die Kultur des Savoir-vivre mit deutscher Gemütlich- und Bodenständigkeit fruchtbar amalgamiert, ein „Dreyeckland“ zwischen Basel, Freiburg und Straßburg, das seine Eigenständigkeit gegenüber dem nachbarschaftlichen Übergewicht der „Schwoben“ einerseits und Pariser Zentralismus andererseits behauptet und gewahrt hat. Pfleglich gehegte Provinzialität erwies sich als Keimzelle, gelebte Interkulturalität (stets zwischen allen Stühlen) als Ausdruck wenn nicht ausgesprochen pro-, so doch paneuropäischer Gesinnung, ein Regionalismus mit unverwechselbaren Zügen charmanter Renitenz.

Rainer Stephans über weite Strecken vergnüglich abgefaßte Gebrauchsanweisung, erschienen in Pipers reizvoller Reihe literarischer Regionalportraits abseits von Reiseführern und Urlaubsplanern, eröffnet dem Leser ein humorvolles Elsaßpanorama mit kulinarischen Reflexionen über saures choucroûte royal (das in Ungarn besser schmeckt) und erklecklicher Sommelier- und Gourmetkunde (wie ein bunter Hund scheint er bekannt mit allerorten Dreisterneköchen): so firmiert der Pinot Gris im Elsässischen unter „Grauclevner“ (und wurde als Tokai d’Alsace vor dreihundert Jahren aus Ungarn importiert), mit einer Entourage seitab touristischer Routen und Urlaubsnepp und erquicklichen Einsichten in das schwierige Verhältnis des Elsässers zum Deutschen. Darin spart er nicht mit Sticheleien gegen Anrainer beiderseits des Rheins.

Matthias Grünewalds „Isenheimer Altar“, der Pfifferdaj, der alljährlich in Ribeauvillé an die Gerichtsbarkeit und Steuerhoheit der deutschen Grafen von Rappoltstein im damaligen Rappoltsweiler über Gaukler und fahrende Spielleute erinnert, der Sechseimerbrunnen, das Obertor und die Künstlerkolonie von Boersch – in Stephans Buch gibt es für den deutschen Leser viel zu entdecken über das Elsaß, wie z.B. die von Adalbert von Chamisso noch besungene Burg Niedeck oder ein zur Waldwirtschaft umfunktioniertes altes Forsthaus im Elmerforst und auch einen ostwärts (gen Deutschland: als Mahnung?) gerichteten Panzer in Kientzheim. Straßburg, die alte freie Reichsstadt, Präfektur (nebst Colmar) der Départements Haut-Rhin und Bas-Rhin (die zusammen die in der französischen politischen Terminologie ausgesparte Region Elsaß bilden), behandelt der Autor facettenreich und erschöpfend – und doch wird der Leser angehalten, weiter nachzuforschen.

Der Zusammenhang zwischen Straßburgs malerischem, von der Vaubanwehr eingefaßten Gerberviertel Petite France und der Syphilis, beispielsweise, findet sich nicht im Buch. Dazu schwingt im Autoren vielleicht zuviel Lokalpatriotismus mit. Die Sprache Stephans ist kurzweilig, die Kapitelübergänge beredt, und auch wenn ein großer Erzählbogen ausbleibt, sind die Exkursionen, Hakenschläge und Detours in diesem anregenden Kultur- und Historienreigen lehrreich und bildhaft, ohne das Gris en gris des modernen Elsaß und seiner Vorstädte in Mulhouse (Mühlhausen), Straßburg und Schlettstadt (Sélestat) – und damit Frankreichs – zu verschweigen. „[D]ie altmodische Kunst des Bücherlesens läßt einen auch heute noch persönliche Abenteuer erleben, die andere nur aus dem Kino kennen“ (S. 107), so resümiert Stephan die phantastische Begebenheit um Stanislas Gosse, dem Arsène Lupin d’Alsace, und er läßt den Leser teilhaben an filmreifer, bibliophil motivierter Kleptomanie, wie sie vielleicht nur noch im Elsaß zu finden ist.

191 Seiten, Broschur
dt.-sprachig
Reiseliteratur, Region Alsace-Lorraine, Frankreich

Comment » | Category: Libri L | Schlagwörter: , , ,

Moira

Oktober 20th, 2008 — 6:35am

Am Tag da wir Irland verließen
regnete es
daß selbst die Flaggen Trauer trugen
und die Bäume die Wipfel
wolkenumschleiert niederbeugten.

Ich sah auf dem Weg stadtauswärts
Maria die ihren
Schal um Kopf und Schultern gelegt
Gottes Weg pries oder auch nur
die frühe morgendliche Luft genoß. –

Sein Wirken liegt darin.

An Bord
in Tweed die klassische Schönheit
ebenmäßige Züge umlockt
von brünettem Wellengang.
Aus ihren dunklen Augen strahlt
Trauer und Stolz.

(Go hAerfort Bhaile Átha Cliath, ar an mBus, 25 Lúnasa 2006.)

[Fassung 2b. Revidiert am 22.10.2008.]

Comment » | Category: Dikt | Schlagwörter: , ,

= 16° – Sedez

Oktober 11th, 2008 — 6:19am

Universum Daniæ Regnum recte distinguitur in Continentem & Insulas. Continentis duæ sunt partes freto à se invicem divisæ, Chersonesus Cimbrica & Scandia. Insulæ sunt Fionia, Sialandia, Falstria & plurimæ minores quæ & ab occasu & à Borea Chersonesum regunt.

(Chorographica Daniæ descriptio, compendio e Iona Coldingensi & Pontano aliisque excerpta, pp. 41-42)

Nordmannia sicut ultima orbis provincia est, ita convenienter in ultimo libri loco ponetur à nobis. Hæc à modernis dicitur Norvvegia. De cujus situ vel magnitudine, cu prius aliqua communiter cum Sueonia dixerimus, nunc vero hoc specialiter dicendum est, quod longitudine sua in extremam septentrionis plagam extenditur hæc regio, unde dicitur.
[…]
Post Nordmanniam, quæ est ultima Aquilonis provincia, nihil habitationis humanæ, nisi terribilem visu & infinitum Oceanum qui totum mundum amplectitur, invenies.

(I.M. Adami, Canonici Bremensis Libellus de situ Daniæ, pp. 27 & 31-32)

ex:
Stephanus Johannis Stephanius: De Regno Daniæ et Norwegiæ, Insulisq. adjacentibus juxtà ac de Holsatia, Ducatu Sleswicensi, et finitimis provincijs, Tractatus varij
Officina Elzeviriana, Lugduni Batavorum [Leyden] 1629

[Archiv: Ursprünglich veröffentlicht am 06.10.2008.]

Comment » | Category: ?? ????? ????? | Schlagwörter: ,

Friedrich von Bodelschwingh / Anna Katterfeld: Ein Besuch im Berliner Norden

Oktober 11th, 2008 — 6:05am

“Berlin ist nicht nur eine sehr schöne, sondern auch eine sehr glückliche Stadt, und das letztere darum, weil man hier so besonders reiche Gelegenheit hat, Barmherzigkeit zu üben. Und nicht nur das, sondern es wird auch wirklich allerlei fröhliche Barmherzigkeit geübt. Aber leider muß ich hinzufügen: auch sehr viel unbarmherzige Barmherzigkeit, und zwar vor allem an meinen besonderen Freunden, den Arbeitslosen und Obdachlosen, denen meine heutige Andacht gilt.”
[…]
Es ist ein weiter Weg von der schönen Wilhelmstraße, wo das St. Michaelshospiz, Vater Bodelschwinghs Berliner Absteigequartier liegt, bis hinauf in den äußersten Norden zur Fröbelstraße mit dem Städtischen Obdach, das seine Gäste “die Palme” nennen.
Endlose, graue Häuserreihen von erdrückender Einförmigkeit. Mühsam bahnt sich der Schein der spärlichen Gaslaternen einen Weg durch die dicke, von stickigen Dünsten geschwängerte Luft. Auf der schmutzigen Straße liegen Butterbrotpapiere und allerlei Unrat. Durch das Halbdunkel gleiten menschliche Gestalten an uns vorbei. Mit schwerem, schleppendem Schritt die einen; lärmend und johlend die anderen. Hin und wieder sieht man Branntweinflaschen aus den Rocktaschen ragen. Wieviel Frauentränen und Kinderjammer kleben an diesen Flaschen!
Die ungeheuren, für den Norden Berlins so charakteristischen Hinterhäuser und -höfe, deren es oft zwei und drei, ja selbst vier hintereinander gibt, verschlucken Tausende und Abertausende unfroher Passanten. Aber nachdem wir die Danziger Straße überschritten haben, scheinen die allermeisten einem bestimmten Ziele zuzustreben. “Fröbelstraße” lesen wir da an einem Straßenschilde. Und schon liegt auch das Ziel dieser vielen vor uns: das städtische Obdach, ein roter Riesenbau, der Nacht für Nacht so unsagbar viel Menschheitselend beherbergt.

(Ihn jammerte des Volkes, S. 107f.)

ex:
Anna Katterfeld: Die Stadt der Barmherzigkeit
Anker-Verlag, Bremen 1930

Paul Grulich: Erlebnisbericht über den “Dämon Berlin” und “die Palme” (anno 1907)
Joachim Schlör: Vortrag über das Phänomen Obdachlosigkeit

[Archiv: Ursprünglich veröffentlicht am 04.10.2008.]

Comment » | Category: ?? ????? ????? | Schlagwörter: , ,

mmviii.viii

Oktober 11th, 2008 — 5:56am

Verena Lueken: Gebrauchsanweisung für New York
Piper Verlag, München 2005
5. Auflage 2008

beg, bee: 22.08.2008, 26.09.2008

Zahllose Facetten New Yorks irrlichtern durch unser Bewußtsein…

168 Seiten, Broschur
dt.-sprachig
Reiseliteratur, Städteportrait, Nordamerika

[Archiv: Ursprünglich veröffentlicht am 04.10.2008.]

Comment » | Category: Libri L | Schlagwörter: , ,

mmviii.iii

Oktober 11th, 2008 — 5:03am

Ebba D. Drolshagen: Gebrauchsanweisung für Norwegen
Piper Verlag, München 2007
3. Auflage 2008

beg, bee: 10.07.2008, 21.07.2008

Von leichter Hand verfaßt, präsentiert die Deutsch-Norwegerin Ebba D. Drolshagen in der Piper-Reihe Gebrauchsanweisung für… hier eine Sammlung von Miniaturen über unseren nördlichen Nachbar, gespickt mit trockenem Humor, scharfer Beobachtungsgabe und anekdotischer Evidenz. Dabei nimmt sie skurille wie liebenswürdige Eigenheiten der Norweger ebenso aufs Korn wie deutsches Reiseprospekt-Fernweh, zeichnet die junge Geschichte des unabhängigen norwegischen Staates nach, rettet die traditionelle Küche aus der firmen Umklammerung von smalahoved und Pizza Grandiosa und spürt en passant der Sehnsucht des Sonntagsspaziergängers nach Leere und hytta nach. Charmant erzählt die Autorin vom norwegischen Spezifikum eines “royalen Republikanismus” (oder vice versa?) und von der Vernarrtheit junger emanzipierter Frauen in den traditionellen bunad, wobei das Königshaus als dänisch-englisch-schwedischer Import unstrittig akzeptiert ist, während die Diskussion um die Eroberung des heimischen Trachtenmarktes mit seinen 400 regionalen Varianten duch Fernostware noch andauert, wie Drolshagen köstlich entflicht.

Ei hyggelig bok

Das Buch erweist sich auch in der Abhandlung drögerer Eigenheiten des Landes mit den 2 Schriftsprachen und gefühlten 7000 Dialekten als unterhaltsame, informative und kurzweilige Lektüre und verschweigt dabei weder den skandinavischen Hang zum Jante-Korpsgeist noch die Verwurzelung der Gesellschaft im Haugianismus – einer Art nordischem Calvinismus. Darüber vergißt Drolshagen aber nicht, mit viel snillisme dem Leser rasch noch ein drollig verfaßtes Lese-matpakke ums andere beizulegen. Bedauerlicherweise ist der Text in der zweiten Buchhälfte ein wenig nachlässig redigiert worden, so daß sich einige Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler eingeschlichen haben, und in einem muß der Autorin entschieden widersprochen werden: Wenn sie das Kapitel Wie klingt ein Fjord?, welches die deutsche Begeisterung für Norwegens springlebendige Jazz- und Musikkultur abmißt gegen die fjord- und winterversessenen Stereotypen in Kritik und Lob, abschließt mit den Worten, sie sehne sich “nach einem anderen norwegischen Musikexport […], der ebenfalls ein Weltpublikum erreicht hat: Death Metal. Dreckig, laut, rotzig”, so irrt sie. Death Metal war ein Schwedenexport. Norwegen machte sich seinen Namen seit den frühen 1990ern mit Black Metal.

Det er to forskjellige par sko.

205 Seiten, Broschur
dt.-sprachig
Reiseliteratur, Länderportrait, Nordeuropa

[Archiv: Ursprünglich veröffentlicht am 01.08.2008.]

Comment » | Category: Libri L | Schlagwörter: , ,

Back to top