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Schwarmbilder

Juli 18th, 2014 — 12:53pm

Der Begriff des Schwärmens versammelt in sich so Gegensätzliches wie militärischen Drill und das Erratische des Insektenflugs, die doppelte Bewegung von Individuum und Vielzahl respektive Kollektiv, das Schlingern mikroskopisch kleiner Elektronen in der Atomphysik (wiewohl Abstraktion) wie auch – in kosmischer Dimension – nach Georg Heym „das dunkle Volk der flatternden Plejaden“ und andere offene Sternenhaufen, verstanden als Materie in Raum in Bewegung. Schon im Buch Hiob heißt es: „Kannst du die Bande des Siebengestirns zusammenbinden oder den Gürtel des Orion auflösen? […] Weißt du des Himmels Ordnungen, oder bestimmst du seine Herrschaft über die Erde?“

Plantes au lait 1 (Mai 2014) Etymologisch eng verwandt ist dem Schwarm das Schwirren, lautmalerisch: Sirren, worunter sowohl Flügelschlag als auch das helle Summen der Mücke fallen, beides tönende Bewegung im Hin und Her; ebenso: das statische Rauschen des Fernsehsignals zur Mitternacht wie auch der tonlose Tanz von vom Wind verwirbelten, aufgestobenen Schneeflocken, dies „weiße, wirbelnde Nichts“, das den Hans Castorp mit „hexagonaler Regelmäßigkeit“ herumirren läßt und zaubrisch zuzudecken droht: Weh und wehe! Inmitten des Schneetreibens nimmt die Schwärmerei totalitäre Züge an, bringt den jungen Protagonisten an seine Grenzen.

Denn auch das flackernde Irrlichtern individueller Zuneigung, die Begeisterung und Tollheit, fiebrige Verzückung und hellichte Entzündung des Phantasten tragen alle das Schwärmerische in sich, das Grenzgängerisch-Flanierende, den Drahtseilakt, sei es in der schwärmerischen Ekstase der Liebe, die das Gegenüber sehnsüchtig überzeichnet und erhebt, sei es in religiöser Erinnerlichkeit und Raserei, die den einzelnen Schwärmer teilhaftig werden läßt am gemeinschaftlichen Bekenntnis, rauschhaft aufgehen in Körper und Lobpreis der Gemeinde: Apotheose (Metamorphose) anstelle methodologischen (ideologischen?) Individualismus. In der Schwärmerei artikuliert sich sowohl Besinnungslosigkeit als auch sinnlich-korporaler Akt: je die vereinzelte menschliche Conditio transzendierende Bewegungen.

Wie George Steiner aufweist, ist unser Denken, dieser „Kern unserer Einzigartigkeit, [das] innerste, privateste, verschlossenste Besitztum“, das wir eignen – unsere Wesensbestimmung schlechthin – paradoxerweise zugleich „milliardenfacher Gemeinplatz“, eine Chiffre menschlicher Existenz, derer Begriffe und Erfahrungen wir intimst-universell miteinander teilen. Dabei sind unsere „Denkprozesse […] in überwältigendem Maße diffus, ziellos, zerstreut, versprengt und unbeobachtet. Sie sind, im wahrsten Sinne des Wortes, ‚überall‘, was in Wendungen wie ‚kopflos sein‘, ‚den Kopf verlieren‘ seinen Ausdruck findet.“ Sind wir in Form und Gehalt also nur ineinander vermengtes schwärmerisches Moment?

Entsprechende Überlegungen leiten technologische Visionen, soziologische Konstrukte, Dys- und Utopien. Schwarmintelligenz als individuelle Geworfenheit und Kontingenz ablösende Zweckbestimmung menschlicher Erfahrung: durch Steuerung und Ordnung (altgr. táxis) gelenkte Kohärenz. Diesem positivistischen Erbe gehorcht auch das Credo der Komplexitätsreduzierung durch Arbeitsteiligkeit, Fortschritt von Wissenschaft und Gesellschaft durch kumulative (endliche) Beiträge, die Überwindung des horror vacui durch ein Postulat des Postindividuellen: Synthese und Einfriedung bergen das Grundrauschen ein; mit Michel Serres gesprochen, vervielfältigt sich das System hin auf einen „Binnenraum, [der] homogen, isotrop, [frei davon]“ ist. (Wird doch dem Schwärmerischen stets ein Pathologisches, zu Zivilisierendes, Domestizierendes beigedacht.) Der Schwarm, als Organon, schließt die Unordnung ein – und damit aus.

Plantes au lait 2 (Mai 2014) Die Metapher des Schwarms vereint so das Ausschwärmen einer militärischen Einheit in zielgerichteter Weise wie auch Phänomene der Interferenz von Information und physikalischer Energie; sie evoziert den Bienenschwarm (Vogelschwarm) als potentiell bedrohliche Angriffsformation in seiner Wechselbalgigkeit, den in der Jagd von der Meute zerrissenen Akteion und molekulare Nanotechnologie, ambivalenter, als Art chic oder auch apokalyptisches Grey-goo-Szenario; den Fischschwarm in seiner ökonomischen Verwertungslogik sowie als Metonymie menschlichen Raubfischkapitalismus‘: Ihnen allen eignet eine die je unmittelbare Asymmetrie und Dynamik gestaltende begriffliche Fixierung auf den Schwarm als menschliche Grunderfahrung.

Franziska Beilfuss‚ Bilder greifen die Topologie des Schwarms prima facie über ihre räumliche Gestaltung auf, über ihr Wechselspiel aus Licht und Schatten, Farbe und Monochromatik, und eröffnen über spielerisch-modularisierbare Collagen aus Teilelementen, nicht unähnlich Permutationen in der mathematischen Kombinatorik, einen assoziativen Raum, der im Wind tänzelnde Blattreigen ebenso aufruft wie informationstechnologische Dual-Bit-Logiken, wie sie dem modernen Individuum, bewußt, vorbewußt, unbewußt, alltäglich unterliegen. Schwärme folgen Bewegungen von Anmut und strenger Gesetzlichkeit; – und nicht zuletzt hierin findet sich der Mensch als Mensch auch wieder.

Franziska Beilfuss: Schwarmbilder
Ausstellung im Rahmen des UdK-Rundgangs
Hardenbergstr. 33, Universität der Künste, Berlin
17.-20. Juli 2014

Ausstellungsbeitext (PDF)

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