[Fortsetzung von Abschnitt I]
Weiter südlich bezeichnet Weck, Wecken teils das gewöhnliche Weißbrödchen, teils ein kuchenartiges Gebäck, das namentlich zu Ostern, seltener zu Weihnachten gebacken wird, so der Gelbweck in Thüringen, die Apostelwecken in Marburg i. H., die Prüfungswecken in Baden, die Bimenweggen in der Schweiz (Höfler, Ostergebäcke Wien 1906, S. 43. Weihnachtsgebäcke S. 48), die Eierweckel in Regensb., Eierweckle in Augsb. usw. Das gewöhnliche Weißbrödchen bezeichnet Weck, Wecke in Hessen (Marb., Laubach, Fulda) und am Rhein nördlich bis Koblenz, in Baden und Württemb. (in Darmst. das Weck). Der gewöhnliche Weck wird nur mit Wasser angerührt, der mit Milch bereitete heißt in Darmst., Zweibr., Rastatt, Aschaff. Milchweck, anderwärts (in Els., Baden, Württ.) Milchbrod.
In Wien ist längliches Schwarzbrod selten und heißt dann Wecken, genauer schwarzer Wecken. Denn der Wecken ist in Österreich und ebenso in Nord- und Mitteldeutschland in der Regel Weißbrod. Der Name bezieht sich zunächst nur auf die keilähnliche Form des Gebäcks: ahd. wecki, anord. veggr, angls. wecg engl. wedge ‚Keil‘. Aber tatsächlich wird der Wecken außer in Bayern fast nur aus Weizenmehl gebacken. Dieser Name ist auf ein Gebiet im Westen des nördlichen und mittleren Deutschland einschließlich der südlichen Rheinprovinz (Wiesb., Frankf., Mainz, Saarbr.), Lothringen (Follmann Wb. 533) und Luxemburg (Wb. 479), auf Süddeutschland, Schweiz und Österreich beschränkt und tritt in drei Formen auf, der (auch das) Weck, die Wecke und
der Wecken. In Österreich wird nur Wecken und Weckerl gesagt, Weck und seltener Wecke (Harz, Hessen, Lothringen 154 Fn 1)) sind nord- und mitteldeutsch. Diese Bezeichnung eines länglichen Weißbrods reicht nördlich bis Schleswig, findet sich in dem Namen eines Fastnachtgebäckes hete Weggen (heiße Wecken) auch sonst im Norden, z. B. in Lüneburg, nach Schiller-Lübben Wb. u. wegge in Wismar, ist aber sonst in Norddeutschland durch andere Ausdrücke verdrängt. Das Bremische Wörterbuch von 1770 (V 221 f.) verzeichnet noch Wek Weg als eine Art Weizenbrod, Heet-wek und Pennwek Kleines Brod im Wert eines 1/2 Pfennigs. In Aachen lebt der Name fort in dem Paschweck d. h. Osterbrod, einer 1/2 – 1 m langen Stolle, die in Hamburg schon nicht mehr so, sondern Paschsemmel heißt; s. Höfler Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde XII (1902) 431. So kommt Weck für bestimmte Weißbrodarten noch in Krefeld, Siegen, Paderb., östlich in Halberst., Eisenach (für eine Stolle) vor.
Frühstücksalternativen
Fast an jedem Ort werden mehrere Arten des als Frühstücksgebäck dienenden Weißbrodes unterschieden. In Berlin heißt die feinere mit Milch zubereitete Art Milchbrod, eine noch feinere Abart Dampfmilchbrod, klein, allmählich immer kleiner geworden und zweiteilig. Größer und nur mit Wasser hergestellt ist die Semmel, noch einfacher und größer etwa in der Form des bayrischen Kipfes, also oval mit zwei Spitzen und oben einer Kerbe, die Schrippe. Von Milchbrodteig, aber länglicher Form ist der Knüppel (mit Mohn Mohnknüppel). Die Schrippe mit ndd. pp ist spezifisch märkisch 154 Fn 2) und, wo sie sonst vorkommt, aus Berlin importiert 154 Fn 3). Sie findet sich z. B. noch in Stettin, ebenso wie der Knüppel, der dort auch Sechsuhrbrödchen heißt.
Eine viel weitere Verbreitung haben Milchbrod und Semmel. Der Name Milchbrod ist in fast ganz Deutschland vertreten, so daß hier eher die Orte anzugeben sind, wo er nicht vorkommt. Er fehlt im nördlichsten Gebiet, in Petersburg, Riga, Königsb., Danzig (wo das Milchbrod Blech- oder Mohnsemmel heißt), Mecklenb., Stettin (wo es Schnittsemmel heißt), Schleswig-Holstein, auch Hamb., Harburg, Hannover, Oldenb., Westfalen. Es reicht nördlich bis Posen, Mark, Schwerte, Lüneb., Bremen. Er fehlt in fast ganz Sachsen (außer Elsterb.), Braunschw., in einigen thüringischen Städten Eisenach, Koburg,
154 Fn 1) Liesenberg, Stieger Mundart 218. Follmann Wb. 533.
154 Fn 2) In Kindlebens Studentenlex. von 1781 als
märkisch bezeichnet: Weigand Wb. II 791.
154 Fn 3) DWb. IX 1754.
auch Halle, ist aber sonst in Thüringen (Halb., Eisl., Zeitz, Sond., Weim.) vertreten, fehlt wieder in Hessen, Kobl., Köln, Aachen, kommt vor in Els., Baden, Württ. Aus Bayern geben es mir nur Hof und Amberg an, aus der Schweiz nur Zürich. In Österr. besteht der Name Milchbrod, bezeichnet aber dort ein weiches kuchenartiges Gebäck, das in Berlin Kuchenmilchbrod heißt. – Diese unregelmäßige Verbreitung von Milchbrod – man vergleiche sein
Vorkommen in Bremen, Fehlen in Hamburg
Vorkommen in Lüneb., Fehlen in Braunschweig
Vorkommen in Weimar, Fehlen in Eisenach
Vorkommen in Siegburg, Fehlen in Köln
erklärt sich wohl daraus, daß Name und teilweise auch Sache erst in neuerer Zeit in Städte eingeführt wurde, wo früher entweder die mit Milch bereitete feinere Art des Weißbrödchens fehlte oder dafür ein anderer Name bestand.
Weit verbreitet ist auch Semmel, nämlich in ganz Deutschland außer dem Westen. Es reicht westlich bis Oldenb., Osnabr. (selten in Lingen), Dortm., Bückeb., Winsen (wo Semmel aber ein Kuchen mit Korinthen von der Größe eines Brodes ist), Göttingen, Weimar, Meiningen, fehlt aber im Westen und Südwesten, in Schwerte bei Dortm. und sonst in Westf., Hessen 155 Fn), am Rhein, in Els., Baden, Pfalz, Württ. (wo Wecken die Wassersemmel, Milchbrod die Milchsemmel bezeichnet). In Els., Lothr., Luxemb. hat Semmel (els. Simmel) noch die Grundbedeutung ‚Mehl‘ (in Lothr. ‚feines Weizenmehl‘, in Lux. ‚Sägemehl‘) = lat. simila. Zürich hat Semmel, Bern Brötchen, St. Gallen Weggli. In Bayern und Österreich ist Semmel der Hauptname für das Frühstücksgebäck. In Kempten sagt man dafür Laible. In Wien heißt eine einfachere Art Weißbrod Schusterla(i)berl (eine Art Wassersemmel), in Dresden Dreierbrödchen. Die verbreitetsten Formen der Semmel sind die einer 8 und die einer Rose. Letztere Form heißt in Öst. Kaisersemmel, das dort übliche feinere Weißbrod, in Lengenfeld Kaiserbrödchen, in Dorpat Rosenbrod, in Mainz Rosenweck, sonst Rosensemmel. Dem Berliner Milchbrod entspricht in Wien das Baunzerl, das aber viel mürber ist als jenes.
Neben Semmel, Milchbrod, Weck(en) ist Brödchen die häufigste
155 Fn) Vilmar Id. 445 schreibt:
Strietzel und
Semmel sind (in Hessen) gänzlich unbekannt, so daß die Dienstboten solcher Herrschaften, welche aus Gegenden, wo
Semmel herrscht, hierher kommen, wenn sie ausgeschickt werden, „Semmeln“ zu holen, in der Regel
Zimmet mitbringen.
Bezeichnung des kleinen Weizenbrodes. Das Brödchen deckt sich wohl in der Regel nicht mit der Semmel, sondern ist härter und ähnelt in der Form dem Berliner Knüppel. Der Ausdruck ist hauptsächlich norddeutsch, von Petersburg bis Aachen reichend, fehlt aber in Berlin, wo man solche Deminutiva [korrekt: Diminutiva] wenig liebt und als kleinlich empfindet. Er findet sich z. B. in Königsb., Lüb., Harb., Oldenb., Gött., Bückeb., Harz, Halle, Eisenach, Kassel, Westfalen, am Rhein (Köln, Düsseld., Wesel), in Wiesb., Frankf., Elsaß, Baden, Bern. Im Osten noch in Beuthen, Bautzen. Milchbrödchen in Posen, Winsen, Schwerte, Kobl., Mainz, Milchbrödle in Heidelb.
Frühstücksfest
Zu diesen vier verbreitetsten Ausdrücken kommt nun noch eine Anzahl örtlich mehr beschränkter, besondere Weißbrodarten bezeichnender Namen. In Petersburg die Bulke aus lett. bulka, kleinruss. bulka ‚Semmel‘. In Schlesw.-Holstein, Hamb., Harb., Hannover heißt die 8 förmige Semmel Rundstück, in Regensburg Milchkoppel. In Dorpat heißt das mit Wasser bereitete Weißbrod Franzbrod d. h. französisches Brod (vgl. ital. pane francese), ein Wort aus dem 18. Jahrhundert; Franzbrödchen kommt auch in Mitteldeutschland vor, Koburg, Braunschw., Winsen, Marburg, nach Schumann Wortsch. 14 in Lübeck, nach Jecht Wb. 5 in Mansfeld, nach Hertel Thür. W. 98 in Nordhausen. In Göttingen ist Franzbrod oder -brödchen ein mit Milch hergestelltes Weizenbrödchen, länglichrund und gekerbt, während das Raspelbrod kreisrund und ungekerbt ist. Auch Weißbrödchen kommt als Name vor in Trier, Weißbrod in Braunschw., Krefeld. Ein kuchenartiges Weißbrod mit Rosinen sind im ndd. Sprachgebiet die Stuten (z. B. in Lüb., Winsen, Osnabr., Dortm., Norden), der „schleswig-holsteinische Weihnachtsstuten„, der Stutenweck, in Köln und Düsseld. Platz, vgl. Höfler Weihnachtsgebäcke 49. Damit verlassen wir aber schon das Kapitel Brod und kommen in das Gebiet der zahlreichen süßen, wenn auch einfachen, semmelartigen Kuchengebäcke, wie das Kuchenmilchbrod in Berlin.
(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 153-156)