Liber de pilae et basium ludo
Stephen King: Blockade Billy / Morality
Hodder & Stoughton, London 2010
beg, bee: 30.07.2013, 01.08.2013
Vorliegender Band versammelt zwei Kurzgeschichten Stephen Kings, in denen der Meister des übersinnlichen Grauens vor dem Hintergrund zweier Kriminalfälle besonderes Augenmerk legt auf die Konsequenzen, die den Protagonisten aus den Taten erwachsen. Blockade Billy will zunächst wie eine Sporterzählung anmuten, aus welcher Kings Liebe zum Baseballspiel detail- und facettenreich abzulesen ist und in welcher er historische Elemente der US-amerikanischen Major League, z.B. Spielerkarrieren von Luis Aparicio und Clete Boyer, mit dem erdichteten Team der New Jersey Titans verknüpft. Dieses verpflichtet 1957, im Jahr des Sputniks, mit Billy Blakely einen ungeheuer erfolgreichen jungen Catcher aus Iowa. Eine Saison lang fliegt das Glück im Spiel ihm förmlich zu, will dem Wunderknaben alles gelingen, – derweil Gegner wie Mannschaftskollegen ein Verhängnis nach dem anderen ereilt. Granny, der Erzähler, erinnert sich lebhaft des unguten Gefühls, das der merkwürdige Bursche in ihm und anderen damals wachrief, von Anfang an, und das er doch wie auch die Fans, Coaches und Mitspieler um des Erfolgs willen verdrängte.
Kings Federstriche einer heileren Welt, wie sie uns in Grannys Nostalgie begegnet, in welcher Fairness und Loyalität im Sport noch ebensoviel galten wie harte Arbeit, wenn auch deren Lohn im professionellen Wettkampf keineswegs gesichert war: Hoffnungen in Niederlagen sich wandelten, Karrieren abrupt endeten, die Großmannssucht des modernen Profisports sich schon abzeichnete, ebenso wie die mediale Ausbeutung desselben, treffen auf den Punkt und bezeugen Kings erzählerisches Gespür. Tonfall und Reminiszenz Grannys, worin die nicht immer jugendfreie Frotzelei und Rivalität im Mannschaftssport aufscheint, die Beiläufigkeit, mit der von Jackie Robinsons geschichtsträchtigem Auflaufen für die Brooklyn Dodgers gesprochen wird, die Verquickung sportlichen Enthusiasmus‘ und der für den Baseball so charakteristischen statistischen Kennzahlen, all dies fügt sich zu einer auf 80 Seiten knapp skizzierten, charmant verfaßten, wenn auch flüchtigen Liebeserklärung an den amerikanischen Nationalsport, welche auch den mit Baseball wenig vertrauten (europäischen) Leser leichthin unterhält.
Im Vergleich zur ersten Erzählung fällt Morality, eine das Rezessionsmotiv der gegenwärtigen Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten unter George W. Bush und Barack Obama aufgreifende, vorab im Esquire abgedruckte Kurzgeschichte, deutlich ab. King begnügt sich mit wenig mehr als einem rudimentären Abriß, welcher anhand eines jungen Paares, Chad: Aushilfslehrer und mehr ambitionierter, denn talentierter Schriftsteller, und Nora, die als Pflegekraft einen Seelsorger im Ruhestand umsorgt, Abstiegsängste der krisengeschüttelten US-amerikanischen Mittelschicht verhandelt. Von Geldnöten geplagt, werden die beiden mit einem Angebot durch den sein Leben lang moralisch integren – und ebenso abgründigen – Reverend Winston konfrontiert, eine Offerte, die sie nicht ablehnen können – oder wollen, stellt sie doch einen einzelnen Schritt dar hin zu finanzieller Sicherheit: dem erträumten Hauskauf und Umzug aufs Land, – und kommt zugleich dem moralischen Bankrott gleich. Die Tat, in sich genommen eine Unerheblichkeit ohne ernsthafte Auswirkung auf die Betroffenen: eine Mutter und ihr Kind, ruiniert sie allesamt.
Wie aus einer banalen Begebenheit Literatur wird, hat der französische Novellist Raymond Queneau 1947 in seinen Stilübungen (Exercices de style) aufgezeigt; King hingegen motiviert an keiner Stelle die drastischen Folgen und Umschwünge für das Trio amorale: Selbstmord, Ehebruch, häusliche Gewalt treten wie aus dem Nichts an die Oberfläche einer seichten, und sprachlich wie erzählerisch enttäuschenden, Betrachtung über (die Bedeutung der) Moral. Kings dem Gegenstand ungenügende Nonchalance ist dabei das geringere Ärgernis, darin findet er sich in guter Gesellschaft, besieht man sich die Geringschätzung sittlichen Handelns in der Gegenwart, vielmehr stößt seine achtlose Charakterisierung der Figuren dieses moralischen Kammerspiels auf, deren Abwägung zwischen Geld und Gewissen in den Zeitraum paßt, den Chad braucht, sich im Bett von einer Seite auf die nächste zu wälzen. Der Leser kann diesem Stück nichts entnehmen als die Einsicht, daß ein geachteter Fantasy-Autor christlich-apokalyptischer Eschatologien wie The Stand für Moralität zu wenig übrig hat, davon zu erzählen. Eindringlicher, und an Einsicht reicher, hat schon Sartre in der Geschlossenen Gesellschaft (Huis Clos) existentielle Normen und Freiheiten gegeneinander abgewogen.
132 Seiten, Festeinband
engl.-sprachig
Erzählungen, Literatur, Krimis, Vereinigte Staaten
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