Category: Wortgeographie


[Streichholz] – entflammbare Reklame

Dezember 8th, 2013 — 8:43pm

Hölzchen zum Anzünden. Es bestehen drei hd. Synonyme, Schwefelholz, Streichholz und Zündholz, häufig in deminutiver Form -hölzchen, -hölzel, schwäb. -hölzle. Von diesen bezieht sich Schwefelholz zunächst auf die ältere Art dieser Zündmittel, deren Zündmasse Schwefel enthält. Der Name wurde aber auch auf die 1848 erfundenen, seit ca. 1860 aus Schweden eingeführten mit Paraffin statt mit Schwefel überzogenen Hölzer übertragen, die zuerst Sicherheitshölzer (schwed. Säkerhets-Tändstickor) hießen. Da er aber für diese als unpassend empfunden wird und die mit Schwefel versehenen Hölzer immer mehr zurückgegangen sind, so ist die Bezeichnung Schwefelholz im Veralten und an manchen Orten wie Berlin und Wien schon kaum noch zu hören. Immerhin wird sie mir noch für eine große Anzahl von Orten angegeben, z. B. Livl., Breslau, Weimar, Bremen, Köln, Wiesb., Els., Aschaff., Hof, Ansb., Cilli, Bregenz 503 Fn).

Fougerolle: Werbemittel recte

Fougerolle: Werbemittel recte1

Die geographische Verteilung der beiden andern Ausdrücke, Streichholz und Zündholz, ist keine einfache, sie gehen vielfach durch einander. An vielen Orten sind beide gebräuchlich, so in Bresl., Schwerin, Kiel, Lüneb., Oldenb., Paderb., Bautzen, Halberst., Pfalz, Aschaff., Hof, Olmütz, Bludenz, Bern. Zündholz ist wohl überall verständlich

503 Fn) Mehr mundartlich nordwestd. Schwefelsticken Voigt-Diederichs Dreiviertel Stund vor Tag 38. Vgl. dän. svovelstikke. In Mittelschwaben heißen sie Schwäbele nach A. Jakob Bayerns Mundarten I 44.

und wird einerseits im äußersten Norden, in Petersb., Livl., anderseits in Österr. fast ausschließlich gebraucht, mundartl. Zundholz in Zürich, Zündhölzli in Basel (Seiler Basl. M. 329), Zünder in Olmütz. Zünderchen in Riga (Zünderli in Basel).

Fougerolle: Werbemittel verso

Fougerolle: Werbemittel verso

Streichholz wird vorzugsweise im Norden gebraucht, ist z. B. in Berlin allein üblich und in ganz Nord- und Mitteldeutschland verbreitet. Es wird aber auch in Südwestdeutschl. (Pfalz, Els., Heidelb., Karlsr. Rastatt) und sonst vereinzelt im Süden gebraucht. Verwandt ist die mundartliche Bezeichnung in Niederösterreich und daher auch in Wien šdrāfhöütsl d. i. Streifhölzel oder eigentlich Straufhölzel zu mhd. stroufen nhd. streifen. Man sagt, das Hölzel anstreifen, wie im Gebiet von Streichholz es anstreichen. Mit Streifholz berührt sich der els. lothr. Ausdruck Streiffeuer neben Streichfeuer (Strichfier) ‚Streichholz‘ Els. Wb. I 133. Follmann Wb. 506. – In der Schriftsprache überwiegt Zündhölzchen bei weitem. In Kaedings Häufigkeitswörterbuch kommen auf 9 Fälle von Streichhölzchen 228 von Zündhölzchen einschließlich seiner Zusammensetzungen Zündholzschachteln, Zündhölzchenfabrikation usw. Die Bezeichnung Zündhölzer gilt wohl für zutreffender als Streichhölzer, weil der Zweck des Zündens wichtiger erscheint als das Verfahren des Streichens.

(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 503-4)

1: Abgebildet ist folgendes Streichholzbriefchen:
Fougerolle – Industriel du bâtiment, des travaux publics et de la route
3, avenue Morane-Saulnier 78140 Vélizy-Villacoublay
Seita France 40 allumettes
schwarze Pappstifte mit purpurnen Zündköpfen.

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[Brod] – Identitätsfindung II

Januar 6th, 2013 — 6:31am

[Fortsetzung von Abschnitt I]

Weiter südlich bezeichnet Weck, Wecken teils das gewöhnliche Weißbrödchen, teils ein kuchenartiges Gebäck, das namentlich zu Ostern, seltener zu Weihnachten gebacken wird, so der Gelbweck in Thüringen, die Apostelwecken in Marburg i. H., die Prüfungswecken in Baden, die Bimenweggen in der Schweiz (Höfler, Ostergebäcke Wien 1906, S. 43. Weihnachtsgebäcke S. 48), die Eierweckel in Regensb., Eierweckle in Augsb. usw. Das gewöhnliche Weißbrödchen bezeichnet Weck, Wecke in Hessen (Marb., Laubach, Fulda) und am Rhein nördlich bis Koblenz, in Baden und Württemb. (in Darmst. das Weck). Der gewöhnliche Weck wird nur mit Wasser angerührt, der mit Milch bereitete heißt in Darmst., Zweibr., Rastatt, Aschaff. Milchweck, anderwärts (in Els., Baden, Württ.) Milchbrod.

In Wien ist längliches Schwarzbrod selten und heißt dann Wecken, genauer schwarzer Wecken. Denn der Wecken ist in Österreich und ebenso in Nord- und Mitteldeutschland in der Regel Weißbrod. Der Name bezieht sich zunächst nur auf die keilähnliche Form des Gebäcks: ahd. wecki, anord. veggr, angls. wecg engl. wedge ‚Keil‘. Aber tatsächlich wird der Wecken außer in Bayern fast nur aus Weizenmehl gebacken. Dieser Name ist auf ein Gebiet im Westen des nördlichen und mittleren Deutschland einschließlich der südlichen Rheinprovinz (Wiesb., Frankf., Mainz, Saarbr.), Lothringen (Follmann Wb. 533) und Luxemburg (Wb. 479), auf Süddeutschland, Schweiz und Österreich beschränkt und tritt in drei Formen auf, der (auch das) Weck, die Wecke und

der Wecken. In Österreich wird nur Wecken und Weckerl gesagt, Weck und seltener Wecke (Harz, Hessen, Lothringen 154 Fn 1)) sind nord- und mitteldeutsch. Diese Bezeichnung eines länglichen Weißbrods reicht nördlich bis Schleswig, findet sich in dem Namen eines Fastnachtgebäckes hete Weggen (heiße Wecken) auch sonst im Norden, z. B. in Lüneburg, nach Schiller-Lübben Wb. u. wegge in Wismar, ist aber sonst in Norddeutschland durch andere Ausdrücke verdrängt. Das Bremische Wörterbuch von 1770 (V 221 f.) verzeichnet noch Wek Weg als eine Art Weizenbrod, Heet-wek und Pennwek Kleines Brod im Wert eines 1/2 Pfennigs. In Aachen lebt der Name fort in dem Paschweck d. h. Osterbrod, einer 1/2 – 1 m langen Stolle, die in Hamburg schon nicht mehr so, sondern Paschsemmel heißt; s. Höfler Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde XII (1902) 431. So kommt Weck für bestimmte Weißbrodarten noch in Krefeld, Siegen, Paderb., östlich in Halberst., Eisenach (für eine Stolle) vor.

Frühstücksalternativen

Frühstücksalternativen

Fast an jedem Ort werden mehrere Arten des als Frühstücksgebäck dienenden Weißbrodes unterschieden. In Berlin heißt die feinere mit Milch zubereitete Art Milchbrod, eine noch feinere Abart Dampfmilchbrod, klein, allmählich immer kleiner geworden und zweiteilig. Größer und nur mit Wasser hergestellt ist die Semmel, noch einfacher und größer etwa in der Form des bayrischen Kipfes, also oval mit zwei Spitzen und oben einer Kerbe, die Schrippe. Von Milchbrodteig, aber länglicher Form ist der Knüppel (mit Mohn Mohnknüppel). Die Schrippe mit ndd. pp ist spezifisch märkisch 154 Fn 2) und, wo sie sonst vorkommt, aus Berlin importiert 154 Fn 3). Sie findet sich z. B. noch in Stettin, ebenso wie der Knüppel, der dort auch Sechsuhrbrödchen heißt.

Eine viel weitere Verbreitung haben Milchbrod und Semmel. Der Name Milchbrod ist in fast ganz Deutschland vertreten, so daß hier eher die Orte anzugeben sind, wo er nicht vorkommt. Er fehlt im nördlichsten Gebiet, in Petersburg, Riga, Königsb., Danzig (wo das Milchbrod Blech- oder Mohnsemmel heißt), Mecklenb., Stettin (wo es Schnittsemmel heißt), Schleswig-Holstein, auch Hamb., Harburg, Hannover, Oldenb., Westfalen. Es reicht nördlich bis Posen, Mark, Schwerte, Lüneb., Bremen. Er fehlt in fast ganz Sachsen (außer Elsterb.), Braunschw., in einigen thüringischen Städten Eisenach, Koburg,

154 Fn 1) Liesenberg, Stieger Mundart 218. Follmann Wb. 533.
154 Fn 2) In Kindlebens Studentenlex. von 1781 als märkisch bezeichnet: Weigand Wb. II 791.
154 Fn 3) DWb. IX 1754.

auch Halle, ist aber sonst in Thüringen (Halb., Eisl., Zeitz, Sond., Weim.) vertreten, fehlt wieder in Hessen, Kobl., Köln, Aachen, kommt vor in Els., Baden, Württ. Aus Bayern geben es mir nur Hof und Amberg an, aus der Schweiz nur Zürich. In Österr. besteht der Name Milchbrod, bezeichnet aber dort ein weiches kuchenartiges Gebäck, das in Berlin Kuchenmilchbrod heißt. – Diese unregelmäßige Verbreitung von Milchbrod – man vergleiche sein

Vorkommen in Bremen, Fehlen in Hamburg
Vorkommen in Lüneb., Fehlen in Braunschweig
Vorkommen in Weimar, Fehlen in Eisenach
Vorkommen in Siegburg, Fehlen in Köln

erklärt sich wohl daraus, daß Name und teilweise auch Sache erst in neuerer Zeit in Städte eingeführt wurde, wo früher entweder die mit Milch bereitete feinere Art des Weißbrödchens fehlte oder dafür ein anderer Name bestand.

Weit verbreitet ist auch Semmel, nämlich in ganz Deutschland außer dem Westen. Es reicht westlich bis Oldenb., Osnabr. (selten in Lingen), Dortm., Bückeb., Winsen (wo Semmel aber ein Kuchen mit Korinthen von der Größe eines Brodes ist), Göttingen, Weimar, Meiningen, fehlt aber im Westen und Südwesten, in Schwerte bei Dortm. und sonst in Westf., Hessen 155 Fn), am Rhein, in Els., Baden, Pfalz, Württ. (wo Wecken die Wassersemmel, Milchbrod die Milchsemmel bezeichnet). In Els., Lothr., Luxemb. hat Semmel (els. Simmel) noch die Grundbedeutung ‚Mehl‘ (in Lothr. ‚feines Weizenmehl‘, in Lux. ‚Sägemehl‘) = lat. simila. Zürich hat Semmel, Bern Brötchen, St. Gallen Weggli. In Bayern und Österreich ist Semmel der Hauptname für das Frühstücksgebäck. In Kempten sagt man dafür Laible. In Wien heißt eine einfachere Art Weißbrod Schusterla(i)berl (eine Art Wassersemmel), in Dresden Dreierbrödchen. Die verbreitetsten Formen der Semmel sind die einer 8 und die einer Rose. Letztere Form heißt in Öst. Kaisersemmel, das dort übliche feinere Weißbrod, in Lengenfeld Kaiserbrödchen, in Dorpat Rosenbrod, in Mainz Rosenweck, sonst Rosensemmel. Dem Berliner Milchbrod entspricht in Wien das Baunzerl, das aber viel mürber ist als jenes.

Neben Semmel, Milchbrod, Weck(en) ist Brödchen die häufigste

155 Fn) Vilmar Id. 445 schreibt: Strietzel und Semmel sind (in Hessen) gänzlich unbekannt, so daß die Dienstboten solcher Herrschaften, welche aus Gegenden, wo Semmel herrscht, hierher kommen, wenn sie ausgeschickt werden, „Semmeln“ zu holen, in der Regel Zimmet mitbringen.

Bezeichnung des kleinen Weizenbrodes. Das Brödchen deckt sich wohl in der Regel nicht mit der Semmel, sondern ist härter und ähnelt in der Form dem Berliner Knüppel. Der Ausdruck ist hauptsächlich norddeutsch, von Petersburg bis Aachen reichend, fehlt aber in Berlin, wo man solche Deminutiva [korrekt: Diminutiva] wenig liebt und als kleinlich empfindet. Er findet sich z. B. in Königsb., Lüb., Harb., Oldenb., Gött., Bückeb., Harz, Halle, Eisenach, Kassel, Westfalen, am Rhein (Köln, Düsseld., Wesel), in Wiesb., Frankf., Elsaß, Baden, Bern. Im Osten noch in Beuthen, Bautzen. Milchbrödchen in Posen, Winsen, Schwerte, Kobl., Mainz, Milchbrödle in Heidelb.

Frühstücksfest

Frühstücksfest

Zu diesen vier verbreitetsten Ausdrücken kommt nun noch eine Anzahl örtlich mehr beschränkter, besondere Weißbrodarten bezeichnender Namen. In Petersburg die Bulke aus lett. bulka, kleinruss. bulka ‚Semmel‘. In Schlesw.-Holstein, Hamb., Harb., Hannover heißt die 8 förmige Semmel Rundstück, in Regensburg Milchkoppel. In Dorpat heißt das mit Wasser bereitete Weißbrod Franzbrod d. h. französisches Brod (vgl. ital. pane francese), ein Wort aus dem 18. Jahrhundert; Franzbrödchen kommt auch in Mitteldeutschland vor, Koburg, Braunschw., Winsen, Marburg, nach Schumann Wortsch. 14 in Lübeck, nach Jecht Wb. 5 in Mansfeld, nach Hertel Thür. W. 98 in Nordhausen. In Göttingen ist Franzbrod oder -brödchen ein mit Milch hergestelltes Weizenbrödchen, länglichrund und gekerbt, während das Raspelbrod kreisrund und ungekerbt ist. Auch Weißbrödchen kommt als Name vor in Trier, Weißbrod in Braunschw., Krefeld. Ein kuchenartiges Weißbrod mit Rosinen sind im ndd. Sprachgebiet die Stuten (z. B. in Lüb., Winsen, Osnabr., Dortm., Norden), der „schleswig-holsteinische Weihnachtsstuten„, der Stutenweck, in Köln und Düsseld. Platz, vgl. Höfler Weihnachtsgebäcke 49. Damit verlassen wir aber schon das Kapitel Brod und kommen in das Gebiet der zahlreichen süßen, wenn auch einfachen, semmelartigen Kuchengebäcke, wie das Kuchenmilchbrod in Berlin.

(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 153-156)

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[Brod] – Identitätsstiftung I

Januar 6th, 2013 — 2:43am

Das Wort Brod wird in Berlin in doppeltem Sinne gebraucht, nämlich 1) kollektiv für das aus Mehl mit Sauerteig oder Hefe hergestellte Gebäck, z. B. Salz und Brod, 2) für ein einzelnes Stück dieses Gebäcks, das in Berlin von Haus aus längliche Form etwa von der Länge eines halben Meters hat. Man sagt daher ein Brod, zwei Brode usw. Nur die erste Bedeutung ist gemeinhochdeutsch, die zweite ist auf Norddeutschland beschränkt. Für das einzelne Stück des Gebäcks sagt man im übrigen Deutschland, wenn es die kreisrunde Form hat, die dort statt der länglichen in Berlin üblichen die gewöhnliche ist, ein Laib, vollständiger ein Laib Brod.

Das Wort Laib ist hauptsächlich oberdeutsch, und das mittlere Deutschland bildet die Grenzzone zu dem norddeutschen Brod. Nördlich reicht Laib bis Saarbrücken, Wiesbaden, Frankfurt, Fulda, Kassel, angeblich auch Hannover (?), aber nicht Göttingen, dann Meiningen (in Marktneukirchen nur Laibbrod im Sinne von Schwarzbrod), Bautzen. In Dresden fehlt es, in Breslau ist es selten. Im westlichen Böhmen (Eger, Chotieschau, Winterberg) kommt Laib vor, aber nicht im östlicheren Teile von Nordböhmen (Leitmeritz, Leipa, Lobositz, Reichenberg) und in Schlesien. Dagegen in Mähren ist Laib vertreten. In Siebenbürgen und in der Schweiz fehlt es. In Fulda heißt das längliche Brod Laib, das runde ist dort selten: die Gestalt des Brodes ist also daselbst norddeutsch, die Bezeichnung süddeutsch 151 Fn 1). Ebenda heißt ein längliches Brödchen aus grauem Weizenmehl Kümmel- oder Kreuzerlaibchen.

Frühstücksbuffet

Frühstücksbuffet

Der geographische Unterschied nordd. Brod: südd. Laib beruht darauf, daß das Wort Laib = got. hlaifs ahd. hleib angls. hláf dem Ndd. 151 Fn 2) (und., wenigstens teilweise, auch den md. Mundarten) fehlt. Schon im Heliand V. 2845 wird brod für das Stück des Gebäcks gebraucht: girstin brodi fibi fünf Gerstenbrode – mhd. mit zwelf leiben Ulrich v. Türl. Willehalm, aber auch zwelf prôt Wolfram Parzival. Der lexikalische Unterschied hängt auch mit der Form des Gebäcks zusammen, insofern Laib das im Süden übliche runde Brod bezeichnet. Daß Fulda eine Ausnahme macht, ist in seiner Lage in der Grenzzone begründet.

Die zuerst genannte kollektive Verwendung des Wortes Brod schließt in Berlin Schwarz- und Weißbrod d. h. gemischtes und Weizenbrod ein. In Wien denkt man dagegen bei Brod nur an Schwarzbrod. Wer in einem Restaurant „Brod“ bestellt, erhält in Berlin den Korb mit Weißbrod oder mit Weiß- und Schwarzbrod, in Wien dagegen nur Schwarzbrod. Sonst müßte man Gebäck oder Semmeln ver-

151 Fn 1) Popowitsch Voc. Austr. I fol. 239 kennt Laib aus Öst., Bay., Schwaben, Hessen, Mainz „und klingt es in den Ohren aller dieser Völker seltsam, wenn sie hören, daß die Sachsen das Wort Brod in der Bedeutung eines Laibes gebrauchen.“
151 Fn 2) Das Fehlen von Laib im Westfälischen vermerkt v. Eye, Deutsche Mundarten II 507. Auch dem Luxemburgischen und Lothringischen scheint das Wort fremd.

langen [verlangen]. Nur bei der Bezahlung sagt man auch in Wien ein, zwei, drei Brod usw. an, worin Schwarz- und Weißbrod zusammengefaßt sind.

Unter Schwarzbrod versteht man in Berlin das aus Roggen- und Weizenmehl gebackene Brod; man wendet den Ausdruck nur an, wenn man Gewicht auf die Unterscheidung von Weißbrod legt. In Österreich und Bayern sagt man dafür Hausbrod, offenbar weil man es früher im Hause herstellte, während man das Weißbrod vom Bäcker bezog. So heißt es schon in Ant. Tuchers Haushaltsbuch (1507-1517) S. 48: „Das Hausprat hab ich selbs pachen laßen 152 Fn 1).“ In Nordwestdeutschland (Westfalen, Köln, Norden) wird das gemischte Brod Graubrod genannt, weil die Bezeichnung Schwarzbrod hier dem wirklich schwarzen reinen Roggenbrode vorbehalten ist; so heißt auch der sogen. Pumpernickel, der aus ungebeuteltem, daher noch die Kleie enthaltendem Roggenmehl gebacken ist. Nach Frischbier Wb. I 110 hat Schwarzbrod in Ost- und Westpreußen dieselbe Bedeutung.

Für Weißbrod sagt man, wie schon bemerkt, in Wien gewöhnlich Gebäck. Dagegen versteht man in Nord- und Mitteldeutschland unter Gebäck die kuchenartige Backware, die zu Kaffee und Tee gegessen wird, die in Österr. vielmehr Bäckerei heißt, z. B. Teebäckerei, in Berlin Teekuchen, feiner Teegebäck. Also:

Brod in Berlin = Gebäck in Wien
Gebäck in Berlin = Bäckerei in Wien

Die wortgeographische Behandlung der übrigen Namen von Brodarten, besonders der Weißbrodgattungen, wird dadurch etwas verwickelt, daß mit den verschiedenen Namen auch Verschiedenheit der Art und der Form des Gebäcks Hand in Hand geht. Für uns kommen die vielen örtlichen Abarten, wie sie beim Weißbrod bestehen und die anderwärts keine Parallelen haben, nicht in Betracht, sondern nur die Fälle, wo es sich um wirkliche Synonyme handelt.

Frühstücksbeilagen

Frühstücksbeilagen

Neben dem runden Laib kommt auch im Süden eine längliche Form des Schwarzbrodes vor, die aber beträchtlich kleiner ist als in Norddeutschland. Dieses längliche Schwarzbrod heißt in Aschaffenb. Brodstolle. Im übrigen Bayern unterscheidet man zwei Formen, den Wecken und den Kipf 152 Fn 2). Der Wecken ist länger als der Kipf, dieser läuft in schärfere Spitzen aus. Der Wecken kostete z. B in Würzb. 40 Pfennig, der Kipf 20 Pf., ist also nur halb so groß wie jener.

152 Fn 1) Vgl. noch Teutsch-Lat. Wörterbüchlein von Nürnb. 1733 S. 54: Hausbrod Panis cibarius.
152 Fn 2) Vgl. Schmeller Wb. I 1273.

Mit dem Kipf nicht zu verwechseln ist das Kipfl, österr. Kipferl, schweiz. Gipfel (s. Art. Hörnchen). In einem Teil von Österreich heißt das längliche Schwarzbrod der Strutzen (in Salzburg., Aussee, Tirol 153 Fn)) oder das Strützel (Strietzel), so in Böhmen, Mähren, Troppau, Kärnten. Vgl. Lexer Kärnt. Wb. 244. Schmeller Wb. II 822. Der Name Strützel, schon mhd. strutzel, strützel, ist weit verbreitet, bezeichnet aber stellenweise ein Gebäck aus feinem Weizenmehl, zum Teil kuchenartig; so der Wiener Strützel, ein geflochtener Kuchen. Solche Strützel, die häufig Zopfform haben, sind im ganzen östlichen Deutschland vertreten, in Ost- und Westpreußen (Kanel-, Butterstritzel Frischbier Wb. II 382), Schlesien, Mark, Dresden, auch in Tirol, der Mohnstrützel (Frankfurt a. O., Schlesien), Eierstrützel, Weihnachtsstrützel, der in Leizig Stolle heißt. Vgl. Höfler, Weihnachtsgebäcke (Wien 1905) S. 39 ff.

153 Fn) Schöpf Id. 722 Strutzen ersetzt hier also Wecken.

[Fortsetzung folgt in Abschnitt II]

(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 150-153)

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[fettdurchwachsen] – Bacon

Januar 14th, 2011 — 6:43am

sagt man in Berlin von Fleisch, das von Fett durchsetzt ist: in Österr. unterspickt (im Scherz auch für Personen gebraucht). Speck, der von Fleisch durchwachsen ist, heißt in Berlin magerer Speck (der Wiener Frühstücksspeck1).

My slice of life

My slice of life

(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 196)

1: Den meisten von uns ist dieser köstliche Beitrag der US-amerikanischen Küche heutigentags unter der Bezeichnung „Bacon“ bekannt. Weniger verbreitet ist das Wissen um seine etymologische Verwandtschaft mit der Bache (alemannisch und waidmännisch für ausgewachsene Wildsau): über ahd. „bahho, bacho“ (= Rückenspeck, ahd. spec).

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[schelten] – visualisiert

Januar 14th, 2011 — 2:39am

In Berlin bedeutet schelten ‚erregt tadeln, Vorwürfe machen‘, schimpfen ‚Schmähworte gebrauchen‘. Während schelten in Norddeutschl. der Umgangssprache geläufig ist (auch das Subst. Schelte), nimmt es nach Südosten immer mehr ab und wird durch schimpfen ersetzt. Schon in Breslau klingt schelten gesucht, literarisch. In Württemberg sagen die Gebildeten nur schimpfen, aber die reine Volksmundart kennt noch schelten, das dem Gebildeten gewählt, dichterisch, biblisch vorkommt. Auch weiter westlich ist schelten mundartlich (in Heidelb. schenne) vertreten Fn): als hd. wird mir teils (in Saarbr., Pfalz, Els.) schelten, teils (in Kobl., Wiesb., Frankfurt, Darmst.) schimpfen angegeben. In Bayern überwiegt wohl schimpfen. Nach Schmeller Wb. II 416 wird dort schelten „vorzugsweise für fluchen“ gebraucht, was wohl nur als mundartlich gelten kann. In Österreich fehlt schelten ganz und wird nur schimpfen gesagt. Er hat sehr geschimpft, er hat mich ausgeschimpft bedeutet also dort ‚er hat sehr gescholten, er hat mich ausgescholten‘, nicht ‚er hat beleidigende Schimpfworte gebraucht‘.1

Fn) Vgl. Meisinger Wb. v. Rappenau 162. Autenrieth Pfälz. Id. 122. Els. Wb. II 412. Follmann Wb. 438.
In Schimpf zuschanden: Am Wiener Pranger

In Schimpf zuschanden: Am Wiener Pranger

(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 404)

1: Diese Bedeutungsdifferenz findet sich im Hochdeutschen heute durchgängig im, durch Präfix angezeigten, unterschiedlichen Gebrauch von „schimpfen“ und „beschimpfen“, wobei ersteres „tadeln, klagen, fluchen, sich ärgern“, letzteres „anpöbeln, schmähen, verhöhnen, verächtlich machen“ heißt.

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[hell] – lexikologisch

Januar 13th, 2011 — 6:37am

wird in Deutschland und Schweiz sowohl vom Licht als von der Färbung gebraucht. Der Österreicher unterscheidet hell mit Bezug auf Lichtquellen (helles Licht, die Sonne scheint hell) und licht (mundartl. li??d) von der Farbe: lichte Farben, lichtgrau, lichte Haare, ein lichtes Kleid, lichtes Bier, lichter Kaffee, sowie von Räumen: lichte Zimmer. In Norddeutschland wird licht nur noch in bestimmten Wendungen wie heller lichter Tag, lichte Augenblicke, lichterloh (technisch lichter Abstand u. dgl.) gebraucht. In Schlesien und im östlichen Sachsen (Bautzen, Seifhennersdorf) jedoch ist es häufiger; in Breslau z. B. wir wollen noch im lichten gehen. Weinhold Beitr. 54 bezeichnete (1857) liechte lichte als sehr gebräuchlich in Schlesien.

Der österreichische Sprachgebrauch ist der ursprünglichere. Denn hell entstammt der akustischen Begriffsphäre, es bedeutet noch im Mhd. ‚laut tönend‘ und ist erst von dem durchdringenden Schall auf das durchdringende Licht übertragen worden Fn). Es enthält also selbst nicht den Begriff des leuchtenden, lichterfüllten, zu dessen Bezeichnung vielmehr ahd. lioht mhd. lieht diente. Die dichterische Sprache hat licht immer festgehalten.

Fn) Diesen Bedeutungsübergang veranschaulicht gut die Wendung ein glockenheller Himmel, die Spieß Id. 99 aus dem Hennebergischen anführt.
Schaumburger Winterlandschaft

Schaumburger Winterlandschaft

(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 234-5)

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