[Brod] – Identitätsstiftung I

Das Wort Brod wird in Berlin in doppeltem Sinne gebraucht, nämlich 1) kollektiv für das aus Mehl mit Sauerteig oder Hefe hergestellte Gebäck, z. B. Salz und Brod, 2) für ein einzelnes Stück dieses Gebäcks, das in Berlin von Haus aus längliche Form etwa von der Länge eines halben Meters hat. Man sagt daher ein Brod, zwei Brode usw. Nur die erste Bedeutung ist gemeinhochdeutsch, die zweite ist auf Norddeutschland beschränkt. Für das einzelne Stück des Gebäcks sagt man im übrigen Deutschland, wenn es die kreisrunde Form hat, die dort statt der länglichen in Berlin üblichen die gewöhnliche ist, ein Laib, vollständiger ein Laib Brod.

Das Wort Laib ist hauptsächlich oberdeutsch, und das mittlere Deutschland bildet die Grenzzone zu dem norddeutschen Brod. Nördlich reicht Laib bis Saarbrücken, Wiesbaden, Frankfurt, Fulda, Kassel, angeblich auch Hannover (?), aber nicht Göttingen, dann Meiningen (in Marktneukirchen nur Laibbrod im Sinne von Schwarzbrod), Bautzen. In Dresden fehlt es, in Breslau ist es selten. Im westlichen Böhmen (Eger, Chotieschau, Winterberg) kommt Laib vor, aber nicht im östlicheren Teile von Nordböhmen (Leitmeritz, Leipa, Lobositz, Reichenberg) und in Schlesien. Dagegen in Mähren ist Laib vertreten. In Siebenbürgen und in der Schweiz fehlt es. In Fulda heißt das längliche Brod Laib, das runde ist dort selten: die Gestalt des Brodes ist also daselbst norddeutsch, die Bezeichnung süddeutsch 151 Fn 1). Ebenda heißt ein längliches Brödchen aus grauem Weizenmehl Kümmel- oder Kreuzerlaibchen.

Frühstücksbuffet

Frühstücksbuffet

Der geographische Unterschied nordd. Brod: südd. Laib beruht darauf, daß das Wort Laib = got. hlaifs ahd. hleib angls. hláf dem Ndd. 151 Fn 2) (und., wenigstens teilweise, auch den md. Mundarten) fehlt. Schon im Heliand V. 2845 wird brod für das Stück des Gebäcks gebraucht: girstin brodi fibi fünf Gerstenbrode – mhd. mit zwelf leiben Ulrich v. Türl. Willehalm, aber auch zwelf prôt Wolfram Parzival. Der lexikalische Unterschied hängt auch mit der Form des Gebäcks zusammen, insofern Laib das im Süden übliche runde Brod bezeichnet. Daß Fulda eine Ausnahme macht, ist in seiner Lage in der Grenzzone begründet.

Die zuerst genannte kollektive Verwendung des Wortes Brod schließt in Berlin Schwarz- und Weißbrod d. h. gemischtes und Weizenbrod ein. In Wien denkt man dagegen bei Brod nur an Schwarzbrod. Wer in einem Restaurant „Brod“ bestellt, erhält in Berlin den Korb mit Weißbrod oder mit Weiß- und Schwarzbrod, in Wien dagegen nur Schwarzbrod. Sonst müßte man Gebäck oder Semmeln ver-

151 Fn 1) Popowitsch Voc. Austr. I fol. 239 kennt Laib aus Öst., Bay., Schwaben, Hessen, Mainz „und klingt es in den Ohren aller dieser Völker seltsam, wenn sie hören, daß die Sachsen das Wort Brod in der Bedeutung eines Laibes gebrauchen.“
151 Fn 2) Das Fehlen von Laib im Westfälischen vermerkt v. Eye, Deutsche Mundarten II 507. Auch dem Luxemburgischen und Lothringischen scheint das Wort fremd.

langen [verlangen]. Nur bei der Bezahlung sagt man auch in Wien ein, zwei, drei Brod usw. an, worin Schwarz- und Weißbrod zusammengefaßt sind.

Unter Schwarzbrod versteht man in Berlin das aus Roggen- und Weizenmehl gebackene Brod; man wendet den Ausdruck nur an, wenn man Gewicht auf die Unterscheidung von Weißbrod legt. In Österreich und Bayern sagt man dafür Hausbrod, offenbar weil man es früher im Hause herstellte, während man das Weißbrod vom Bäcker bezog. So heißt es schon in Ant. Tuchers Haushaltsbuch (1507-1517) S. 48: „Das Hausprat hab ich selbs pachen laßen 152 Fn 1).“ In Nordwestdeutschland (Westfalen, Köln, Norden) wird das gemischte Brod Graubrod genannt, weil die Bezeichnung Schwarzbrod hier dem wirklich schwarzen reinen Roggenbrode vorbehalten ist; so heißt auch der sogen. Pumpernickel, der aus ungebeuteltem, daher noch die Kleie enthaltendem Roggenmehl gebacken ist. Nach Frischbier Wb. I 110 hat Schwarzbrod in Ost- und Westpreußen dieselbe Bedeutung.

Für Weißbrod sagt man, wie schon bemerkt, in Wien gewöhnlich Gebäck. Dagegen versteht man in Nord- und Mitteldeutschland unter Gebäck die kuchenartige Backware, die zu Kaffee und Tee gegessen wird, die in Österr. vielmehr Bäckerei heißt, z. B. Teebäckerei, in Berlin Teekuchen, feiner Teegebäck. Also:

Brod in Berlin = Gebäck in Wien
Gebäck in Berlin = Bäckerei in Wien

Die wortgeographische Behandlung der übrigen Namen von Brodarten, besonders der Weißbrodgattungen, wird dadurch etwas verwickelt, daß mit den verschiedenen Namen auch Verschiedenheit der Art und der Form des Gebäcks Hand in Hand geht. Für uns kommen die vielen örtlichen Abarten, wie sie beim Weißbrod bestehen und die anderwärts keine Parallelen haben, nicht in Betracht, sondern nur die Fälle, wo es sich um wirkliche Synonyme handelt.

Frühstücksbeilagen

Frühstücksbeilagen

Neben dem runden Laib kommt auch im Süden eine längliche Form des Schwarzbrodes vor, die aber beträchtlich kleiner ist als in Norddeutschland. Dieses längliche Schwarzbrod heißt in Aschaffenb. Brodstolle. Im übrigen Bayern unterscheidet man zwei Formen, den Wecken und den Kipf 152 Fn 2). Der Wecken ist länger als der Kipf, dieser läuft in schärfere Spitzen aus. Der Wecken kostete z. B in Würzb. 40 Pfennig, der Kipf 20 Pf., ist also nur halb so groß wie jener.

152 Fn 1) Vgl. noch Teutsch-Lat. Wörterbüchlein von Nürnb. 1733 S. 54: Hausbrod Panis cibarius.
152 Fn 2) Vgl. Schmeller Wb. I 1273.

Mit dem Kipf nicht zu verwechseln ist das Kipfl, österr. Kipferl, schweiz. Gipfel (s. Art. Hörnchen). In einem Teil von Österreich heißt das längliche Schwarzbrod der Strutzen (in Salzburg., Aussee, Tirol 153 Fn)) oder das Strützel (Strietzel), so in Böhmen, Mähren, Troppau, Kärnten. Vgl. Lexer Kärnt. Wb. 244. Schmeller Wb. II 822. Der Name Strützel, schon mhd. strutzel, strützel, ist weit verbreitet, bezeichnet aber stellenweise ein Gebäck aus feinem Weizenmehl, zum Teil kuchenartig; so der Wiener Strützel, ein geflochtener Kuchen. Solche Strützel, die häufig Zopfform haben, sind im ganzen östlichen Deutschland vertreten, in Ost- und Westpreußen (Kanel-, Butterstritzel Frischbier Wb. II 382), Schlesien, Mark, Dresden, auch in Tirol, der Mohnstrützel (Frankfurt a. O., Schlesien), Eierstrützel, Weihnachtsstrützel, der in Leizig Stolle heißt. Vgl. Höfler, Weihnachtsgebäcke (Wien 1905) S. 39 ff.

153 Fn) Schöpf Id. 722 Strutzen ersetzt hier also Wecken.

[Fortsetzung folgt in Abschnitt II]

(Paul Kretschmer: Wortgeographie der hochdeutschen Umgangssprache.
Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 1918, S. 150-153)

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