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Weihnachten mit Thomas Mann
Hrsg. v. Sascha Michel
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2009
In schmucker Ausstattung wartet diese Anthologie, erschienen im Fischer-Verlagsimprint Fischer Klassik, mit einer Auswahl von Texten aus der Feder Thomas Manns auf, die allesamt inhaltlich oder zeitlich einen Bezug zum Weihnachtsfest ausweisen. Mann, der große Romancier, ist mit zwei längeren Auszügen aus den Buddenbrooks und dem Zauberberg vertreten, die je jene Passagen aus dem Werkkontext exzerpieren, die dem Heiligen Fest gewidmet sind, was sie nun aber auch all ihrer Bezüge verlustig gehen läßt. Es schmerzt ein wenig, die meisterliche Komposition so zerteilt zu sehen. Erquicklicher sind die aufgenommenen Briefe und Tagebücher Manns, die familiäre Stimmungsbilder und politische Kommentare, Lektürenotizen und kursorische Werkkritik versammeln und die vielfältige Korrespondenz Manns von 1890 an bis Ende 1954 schlaglichtartig beleuchten: Hesse, Dehmel, Verlagsvater Samuel Fischer und Bruder Heinrich und zahlreiche andere Adressaten und Gesprächspartner bezeugen Manns Rolle und Einbindung in die Gesellschaft Münchens, Princetons und Zürichs – wie auch das Exil in Pacific Palisades und Manns entschiedenen, bitter-ironischen Dammspruch über die alte Heimat:
„Amerika muß diesen Krieg erst lernen. Das Unglück von Pearl Harbor zeigt, wie wenig es noch eine Vorstellung hat von seiner bösen Unbedingtheit, seinem Radikalism. […] Von diesem Schauplatz [im Pazifik] ist wohl noch mancher Kummer zu erwarten. Desto mehr Vergnügen macht uns Adolf mit seinen inneren Stimmen und seiner ‚raison d’être.‘ (Als Eroberer Galliens fängt er an, sich des Französischen zu bedienen, wenn auch nicht ganz richtig.) Sein Tagesbefehl bei Entlassung der Generäle und eigener Uebernahme des Kommando’s war unbezahlbar. Seit der Jungfrau von Orleans ist etwas so Romantisches nicht mehr dagewesen. Ach, die heillose Kröte, wann wird ihr einer den Kopf zertreten?“ (Brief an Agnes E. Meyer vom 23.12.1941)
So rasch wird aus dem Heiland NS-Deutschlands im Handstreich die Unke in all ihrem Unglück gekehrt, eine Lektion, die viele „Volksgenossen“ erst später bitterlich lernen mußten. Neben solch brillanten Charakterisierungen und Sentenzen des Essayistikers finden sich zahllose Alltagskommentare, die ein Licht werfen auf die eiserne Disziplin, der sich Mann unterzog, und seine nicht selten aufflackernde Unlust ob all der Pflichten. Mann, der Hypochonder, tritt in Erscheinung. Hier bewirkt die Sammlung Neugierde, den Blick auf die Tagebücher über die Weihnachtstage hinaus zu weiten. Neben Thomas Mann lädt der Verlag in gleicher Ausführung, Prägestempel, güldenem Balken, christfestlichem Motivtitel, auch zur Weihnacht mit Kurt Tucholsky. Als Reminiszenz und Ermahnung, wieder einmal zu beider Autoren Œuvre erster Hand zu greifen, könnten die Anthologien gelingen, doch sie begnügen sich zur Unterhaltung. Der Leser kann nicht umhin, sich einzugestehen, zu kapitulieren vor dieser schnellebigen Zeit mit ihrer modularisierten Lesepraxis:
Warum sich hier bescheiden zur leichten Kost anstelle wuchtiger Bände? Warum Exzerpte und durchkämmter Streifzug anstelle eines sich in Fülle entfaltenden erzählerischen Duktus und stiebender Kurzprosa im Original? Es sind dies Bücher, die einladen zum Lesen nebenher, dem Leser die Kulturtechnik aber nicht mehr gewissenhaft abverlangen. Hierzu paßt auch, daß die editorische Textarbeit sehr übersichtlich bleibt; mithin Personen, Orte, Werke ohne Bezug und Erläuterung sind – und damit Schall und Rauch. So bleibt von der Blütenlese nur eine ungefähre Ahnung, und das ist schade.
121, (6) Seiten, Taschenbuch
dt.-sprachig
Sammlung, Prosa, Deutschland
Category: Libri L | Tags: Deutschland, Geschichte, Literatur, Medien, US | estienne210 Kommentare deaktiviert für mmxi.i