Übertragungen

Wie lebhaft der Austausch neuer Waren, Ideen und Literaturen über Grenzen hinweg sich schon im Europa der Voraufklärung vollzog, sind wir zuweilen geneigt zu vergessen angesichts umwälzender und stetig sich vervielfachender Güter- und Arbeitsströme seit dem ausklingenden 19. Jahrhundert, worin Technologie- und Kulturtransfers zusammenfallen mit expliziten Verflechtungsphänomenen aller fünf Weltregionen. Hierzu zählen nicht zuletzt die beschleunigte institutionelle Herausbildung trans- und supranationaler Körperschaften, manifest in einer Vielzahl global- und geopolitischer Akteure auf Mikro-, Meso- und Metaebene (NGOs, ASEAN, OECD, NATO…), wie auch noch auszutarierende, i.e. regulatorisch zu flankierende intra- und extraterritoriale Freihandels- und Finanzmarktmechanismen, denen idealiter die universelle Verankerung internationaler Rechtsnormen vorausgeht – oder zumindest standhält.

Die gegenwärtige Globalisierung ist Ausdruck eines fortwährenden, iterierenden Mondialisierungsprozesses, welcher stets einhergeht mit radikalen Neuentwürfen, ideologischen Verteilungskämpfen und kultureller Spiegelung von Versatzstücken des jeweils ‚Fremden‘, i.e. Dynamisierungen und (Re-) Konstruktionen. Die Reisekompendien des 17. Jahrhunderts, zumal die Elsevier-Republiken, sind beredtes Zeugnis des damaligen wechselseitigen Interesses der europäischen Nachbarn aneinander, und wiewohl die Renaissance in ihrer Revitalisierung antiken Geistes sich neu positionierte im Verhältnis zum Dunklen Mittelalter und dessen feudalen Herrschaftsverhältnissen kirchlicher und fürstlicher Autoritäten, indem sie den gräko-lateinischen Kanon reappropriierte (was sich partiell der Begegnung mit dem Islam und dessen Archivalien verdankte), so war die Fortschreibung und Umdeutung desselben im Zuge von Humanismus und voraufklärerischer Naturphilosophie, wie sie ein exaktes Organon respektive universelles Menschenbild ausbildeten, noch bedeutsamer.

Im Feld der Literaturen hatte der Begriff des Nationalen noch nicht Fuß gefaßt, über Sprachen und Traditionen hinweg beflügelten sich Autoren zunächst im gemeinsamen Lehridiom des Lateinischen (das seine Stellung als lingua franca viel früher schon eingebüßt hatte), später in aufwendiger und überraschend aktueller Übersetzungs- und Editionspraxis. Ein Beispiel findet sich in Antoine Hamiltons Aneignung von Alexander Popes Essay on Criticism.

1711 erst verfaßt nach dreijähriger Überarbeitung, fand das Lehrgedicht in einer Neuübertragung schon um 1713 Eingang ins frankophone Werk des irischen Autors. Allerdings erblickte Hamiltons Bearbeitung das Licht der Welt erst nach seinem Tode, und gegenüber anderen zeitgenössischen Wiedergaben des Versessays ist es heutzutage in Vergessenheit geraten, obwohl es interessante Einblicke gestattet in die Herausforderungen, die die Übertragung einer poetischen Form in eine neue Sprache stellt (Reimschemata, lexische Ambiguität, homophones Wortspiel), wie auch vorführt, auf welche Weise ein Übersetzer durch Variabilität und Mut dem eigentlich fremden Text eine eigene Handschrift verleiht – ihn sich aneignet – und in größtmöglicher Freiheit selbst zum Autor wird nebst Interpret.

Text:
Antoine Hamiltons Extrait de L’essai sur la critique
samt Übertragung ins Deutsche (Abschrift: 94 kB) (PDF-Dokument)

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